Akzente_Aerodrome/Tag 2

Alcopops

Es kracht und gewittert, wenn Korn, Motörhead & Slipknot aufspielen. Und dazwischen sorgen Sophia für ein bißchen würdevolle Ruhe. EVOLVER beim Aerodrome, Teil zwei.    15.06.2004

Korn (Main Stage)

 

Die Ruhe vor dem Sturm: Im matt leuchtenden Licht der schon sehr tiefstehenden Sonne suhlen sich einige in erweiterter Alkoholregression befindliche Metal-Kiddies halbnackt in den Schlammpfützen vor einem hemmungslos überteuerte Alcopops verkaufenden Smirnoff-Stand. Wenn die Rübe erstmal richtig schwammig gesoffen ist mit dem leicht alkoholisierten Zuckerwasser, hat man 1. eine Menge Geld verpraßt, 2. nichts mehr zu verlieren und ist demnach 3. bereit für einen Auftritt der kalifornischen NuMetal-Brachialmotoriker von Korn. "Are you reeeeeaaaady?" tobt Frontman Jonathan Davis in die willige, von Iowas own Puppenkiste Slipknot bereits perfekt aufgescheuchte Masse und wirkt dabei unselig indisponiert wie Ozzy O. in seinen besten (?) Momenten. Und dann bricht er los, der Sturm. Was folgt, sind rund 1 1/2 Stunden Patentpsychosengerocke, und das wiederum bedeutet: Getragen von betont grimmigem Gitarrengeriffe und monströs wummernden Baßläufen, brettern sich Korn durch ein leidlich spannungsgeladenes, wenngleich auch routiniert dröhnendes Best of ihrer MTV- und Metaldissenhits wie "Freak On A Leash", "Got the Life" oder "Right Now". Nach dem auch schon üblichen Dudelsackintermezzo ist dann irgendwann aber tatsächlich Schluß, Signore Davis darf Prozac nachtanken, und das nun endgültig enragierte Publikum sich auf die Headliner Metallica einstellen. Der Autor dieser Zeilen aber zieht dem Aggro-Abbauprogramm das Stimmungs-Aufbauprogramm der Beginner in der "Arena Nova" vor. (CP)

 

 

Slipknot (Main Stage)

 

Vorweg gleich zwei unverbindliche Weisheiten. Erstens: Die neun verrückt-psychopathischen Jungs aus dem Nest Des Moines in Iowa (USA) muß man einmal live gesehen haben. Zweitens: Einen Maskenball im Frühsommer schon um etwas nach sechs Uhr nachmittags abzuhalten, ist eine glatte Fehlentscheidung. Leider. Den Vergleich mit dem wahnsinnigen Gig von Slipknot von vor zwei Jahren in Wiesen hält der Auftritt beim Aerodrome in keinen Belangen stand, obwohl die knallharten Songs der bösen Neun nun professioneller und ausgefeilter klingen. Ihre brachiale Musik, der Rettungsanker für viele pessimistisch eingestellte und von der kratzigen Realität gebeutelte Jugendliche, kann dem kohlrabenschwarzen Zauber trotz Sonnenlicht gerade noch standhalten, die Bühnen- samt Freakshow geht hilflos an den zerstörenden Strahlen zugrunde. Zu lächerlich wirken die wirklich genial zusammengeflickten Masken im Stile zwischen Hannibal Lector und der Verarbeitung von Kindheits-Traumata à la Pinocchio (lange Nase beim Lügen) im grellen Sonnenlicht. Schade: Mit einem Motörhead-mäßig eingestellten Sound-Regler hätte man die Powershow mit vorhandenen knackigen Drum-Einlagen von Joey Jordison sowie routinierten und professionellen Schreianfällen von Front-Psycho Corey Taylor Sound-technisch etwas aufpeppen können. So aber war der in den vorderen Reihen noch gut erzeugte aggressive und nach vorn preschende Druck der Gitarrenwände ab dem zweiten Viertel der Zuschauermassen kaum mehr spürbar. (DK)

 

 

Sophia (Second Stage/FM4-Bühne)

 

So richtig kann man das mit Beschreibungsroutinen ja gar nicht erörtern: Robin Proper-Sheppard betritt die Bühne, stimmt die ersten anmutigen Akustikgitarrenlaute und gedämpften Worte des "Desert Song No. 2" an, und von einem Moment zum anderen wird dieses Festival der lauten Töne zum ersten Mal von so etwas wie Wahrhaftigkeit und Würde eingehüllt. Die an sich furchtbar multifunktional-seelenlose "Arena Nova" durchzieht eine Aura sanfter Elegie und Melancholie, ehe das Stück abschließend in ungezügeltem Noise-Inferno kulminiert. Ein ungeheuer bewegender Einstieg in ein an sich mit viel zu kurzer Spiel- (ganze sechs Nummern!) zu viel zu früher Tageszeit (15.30 Uhr!) angesetztes Konzert. Und auch sonst hat sich der Ex-The-God-Machine-Frontman mit genug Problemen herumzuschlagen. So ist ihm zum Beispiel der Band-Bassist nach Australien abgesprungen, weswegen er - zum ersten Mal überhaupt bei Sophia - bei den letzten beiden Songs in die Baßsaiten greifen wird. Und während draußen die NuMetal-Schönlinge von den Lostprophets Teenie-gerecht Dampf ablassen, entfalten sich eben diese beiden Stücke, der magische "River Song" und "If A Change Is Gonna Come" in ihrer Dualität aus bittersüßen Harmonien und kathartischen Lärmeruptionen zu ganzer Seligkeit. Düstere Herzschmerzfeuerwerke, mitten am hellichten Tag. Und garantiert härter als jede Hartwurstkapelle auf der Main Stage. (CP)

 

 

Motörhead (Main Stage)

 

"We´re Motörhead. And we´re gonna kick your ass!" Lemmy Kilmister und seine Mannen lösen am Nachmittag einen Wirbelsturm trotz Windstille aus, blasen nicht nur gehörig den Marsch, sondern den Fans eine gehörige Ladung Strom um die Ohren. Hammer, Amboß und Steigbügel müssen sich in den letzten Winkel zurückziehen, wenn der Frontman nach mehr "Lautstarke" (!) verlangt und den knapp 50.000 Leuten ein Ramones-Cover sowie die Punk-Hymne der Sex Pistols "God Save the Queen" um die Ohren ballert.

Der von Sex, Drugs & Rock´n´Roll schwer gezeichnete Godfather des Schweinerock in seinen weißen Cowboystiefeln hat sichtlich wieder Spaß an seiner durch alle Höhen und Tiefen des Rock marschierten Truppe gefunden zu haben. Und das überträgt sich auch auf das Publikum, das dem Altersdurchschnitt auf der Bühne haushoch unterliegt. Legenden werden auch von der rebellischen Jugend mit der typischen Rockpose - weggestreckter Zeige- und kleiner Finger - quittiert, und unter frenetischem Jubel werden die Soli von Gitarrist Phil Campbell und Teufelsdrummer Mikkey Dee beklatscht. Aber nur, wenn man die Hände herunternehmen und sich einmal kurz von der fesselnden Rockpose befreien konnte. (DK)

 

 

Static-X (Main Stage)

 

Viel zu schnell gekommen, viel zu kurz gespielt: Der jungfräuliche Auftritt des amerikanischen Quartetts aus dem hinterwäldlerischsten Mittelwesten der Vereinigten Staaten - irgendwo zwischen Michigan und Illinois - glich in Wiener Neustadt den Rahmenbedingungen nach ersten pubertären erotischen Gehversuchen. Zwischen den vier Verstrebungen des Rahmens zeigten die NuMetaller freilich bei ihrem ersten Auftritt in Österreich, daß man auch in der prallen Frühnachmittagssonne - trotz schwarzer Kleidung - in knapp über 30 Minuten überzeugen kann. Static-X wußten mit knochenhartem Rock, gepaart mit leichten Disco-Einflüssen, ihre bereits zahlreich erschienene Fan-Gemeinde mit weiteren jungen Metalheads zu vergrößern. Unter den neu rekrutierten Fans dürften sich auch ein paar Mädels befinden, da der charismatische Frontman Wayne Static den von allen fokussierten Brennpunkt der Band darstellt. Nicht nur wegen seiner elendslangen Bartzöpfe und vermuteten Werbeeinnahmen für ein radikales Haargel (die langen schwarzen Federn zeigen zackig gen Himmel) - seine stakkatoartigen energetischen Schreigesänge reihen sich harmonisch in die brachialen Gitarrenriffs ein, ab und an ist auch ein melodiöser Charakter in der klaren, tiefen Stimme auszumachen. (DK)

 

Christoph Prenner & David Krutzler

Aerodrome/Tag 2


Freitag, 11. Juni 2004

Flugfeld, Wr. Neustadt

 

Photo (Luftaufnahme): © Norbert Ivanek/ORF

 

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Der EVOLVER war beim Aerodrome - und bietet seinen Lesern einen zweiteiligen Bericht vom ersten österreichischen Mega-Open-air dieses Sommers. Heute: Teil eins.