Akzente_Aerodrome/Tag 1

Keine lauen Lüfterln

Der EVOLVER war beim Aerodrome - und bietet seinen Lesern einen zweiteiligen Bericht vom ersten österreichischen Mega-Open-air dieses Sommers. Heute: Teil eins.    14.06.2004

Red Hot Chili Peppers (Main Stage)

 

Zwei eigens für die Show aufgestellte Leinwände (macht insgesamt vier), ein aufgerollter Teppich auf der Bühne: Standesgemäß waren von den absoluten Superstars des ersten Tages nicht viel weniger Star-Allüren zu erwarten. Und zumindest Leinwände und Teppich haben sich die Red Hot Chili Peppers redlich verdient: Die Chili-Schoten brennen ein Hit-Feuerwerk der Extraklasse ab, Gitarrenvirtuose John Frusciante und sein Counterpart am geslappten Baß, Flea Balzary, jammen sich dazwischen durch eine eigene funkige Welt voller Höhen, Tiefen und Bässe. Während im Hintergrund Visuals gezeigt werden, spielt sich das Sehenswerte davor ab. Drummer Chad Smith drischt mit Leichtigkeit und Gefühl mit scheinbar fünf Sticks gleichzeitig auf sein "Werkzeug" ein. Der exzentrische Schönling Anthony Kiedis bringt zunächst den auf den Platten enthaltenen Groove live nicht hundertprozentig rüber, nach zahlreichen Wirbelwindeinlagen auf der Bühne ist aber auch dieses Manko behoben. Nicht nur zu ebener Erd´ gibt der Mann mit dem trashigen Vokuhila-Verschnitt-Hairstyle Welt-Hits wie "Under the Bridge", "Give It Away" und "Otherside" zum besten: Kiedis fühlt sich auch - nach fachmännischer Überprüfung des Bühnengerüsts - im ersten Stock ganz wohl und gibt von dort ein Ständchen. Nach knapp zwei Stunden schweißtreibender und Power-geladener Songs beenden die beiden Saitentüftler die Show mit einem exzessiven Sound-Gemisch ihrer zwei Geräte in einem ohrenbetäubenden Lärm knapp über der Schmerzgrenze. Und die vier Leinwände sind auf einmal schwarz. (DK)

 

 

Pixies (Main Stage)

 

Auch wenn es angesichts bedröppelt dreinschauender Angesichter von ungezählten Peppers- und Toten-Hosen-Fans (die es anscheinend wirklich immer noch gibt) etwas keck dahingesagt ist: Das einzig wahre Ereignis dieses ersten Festival-Tags waren unbestritten die Pixies. Und auch wenn Frank Black in Interviews noch vor einem Jahr eine Reunion der wohl wichtigsten Rockband der ausgehenden Achtziger kategorisch ablehnte, so steigen sie kurz nach 20 Uhr leibhaftig - und, wie gewohnt, wortlos - auf die Mainstage. Allen voran natürlich Kugelblitz Black himself und Kim Deal, die Grande Dame des Indie-Rock, die gekommen sind, um das zu zelebrieren, was sie selbst ironisiert als "Pixies Sellout" umschreiben. Was nicht weniger ist als einmal knochentrocken heruntergeschrammelte, dann wieder psychedelisch dahinschwurbelnde, aber immer großmütig Grandezza verströmende Noise-Rock-Essenz. Und, mein Gott: Wie überlegt und kompakt Black, Deal und Feedback-Wizard Joey Santiago nach all den Jahren noch in aller Laut/Leise- bzw. Pop/Krach-Dynamik harmonieren! Die Setlist ist nicht weniger als ein Klassikeraneinanderreihungsprogramm: "Wave of Mutilation", "Here Comes Your Man", "Gigantic" (Kim on Mic!), "Velouria" oder das unverwüstliche "Where Is My Mind" - hier werden in den Sonnenuntergang wortwörtlich alle Stückln gespielt. Das Set endet dann mit einigen mehr oder weniger gelungenen Akustikeinlagen Blacks, die noch einmal schmerzlich den Unterschied zwischen dem Pixies-Œuvre und seinen Soloeskapaden vor Augen führen. Trotzdem: ein Hammer, nothing less. (CP)

 

 

Die Toten Hosen (Main Stage)

 

"Die sind doch längst tot, die Hosen." Harte Anschuldigungen mußten sich da die deutschen Punkrock-Veteranen von einem mitten im Menschengewühl vor der Bühne stehenden kritischen Festival-Besucher gefallen lassen. "Her mit den Pixies!" Campino und Co. sollten ihm direkt eins in die Fresse verpassen...

Fit wie eh und je, druckvoll und agil spielen die Toten Hosen unter frenetischem Applaus einen Klasse-Gig. Zwischen Klassikern wie "Eisgekühlter Bommerlunder", "Sascha" und "Pushed Again" dürfen natürlich auch politische Punk-Attitüden nicht unerwähnt bleiben; die CDU-Vorsitzende Angela Merkel kommt da naturgemäß nicht gut weg. Rechtzeitig zur Fußball-EM läßt uns Campino noch einmal wissen, daß Österreich nicht daran teilnimmt, Lettland zum Beispiel aber schon. Diese Sticheleien wissen die Hosen geschickt in eine aufgeheizte Stimmung umzumünzen; das The-Clash-Meisterwerk "Should I Stay Or Should I Go" kühlt da auch nicht sonderlich ab. Nur das Blur-Cover des kommerziell ausgeschlachteten "Song 2" kommt etwas unverhofft und unklar daher. Ansonsten darf behauptet werden: Die Hosen sind untoter als je zuvor! (DK)

 

 

Life Of Agony (Main Stage)

 

Und gleich noch ein Comeback der Marke glorreiche, semi-kultische Vergangenheit, unrühmliche Trennung, noch unrühmlichere Solokarrieren und spätes sich auf längst verdienten Lorbeeren ausruhen. Das bleibt dem New Yorker Quartett Keith Caputo, Joey Z, Alan Robert und Sal Abruscato - also dem Original-Line-up - anfangs aufgrund des ziemlich undifferenziert aus den Boxen quellenden Klangbreis aber noch verwehrt. Doch wie die Sound-Sorgen erledigt sich zum Wohlgefallen des gar nicht geringen LOA-Anhangs vor der Bühne nach rund einer Viertelstunde Spielzeit auch die stimmliche Angeschlagenheit des Power-Gnoms Caputo. In weinrotem Seidenhemd und Zerschleiß-Jeans schreit, knödelt, räkelt und windet er sich schlangenmenschgleich durch ein Programm, das seinen Fokus zu Recht eher auf die Hardcore-beeinflußte Frühphase von Life Of Agony denn auf die wenig ruhmreiche Alternative-Rock-Spätphase legt. Daran mochten auch brandneue Nummern wie "Justified" nicht mehr so recht anzuschließen. Fazit: kein Ruhmesblatt einer-, aber auch kein Totalausfall andererseits. Die Zukunft dürfte für diese Band wohl wirklich im versierten Ausschöpfen der Vergangenheit liegen. Den Rest sollte die Nostalgie richten. (CP)

 

 

Within Temptation ("Mind Over Matter"-Stage)

 

Daß die Sängerin des holländischen Sextetts eine ganz scharfe sein soll, hörte man gerüchteweise - zumindest als Mann - schon im Vorfeld. Fünf Minuten, nachdem die nette Lady samt Band die Bühne mit etwas Verspätung geentert hat, ist man doch etwas überrascht, daß sich die ästhetischen Songs nicht hinter der optischen Erscheinung von Sharon den Adel verstecken brauchen.

Mit sanften Keyboard-Klängen und lupenrein gespielten Gitarrensoli werden die knapp 5000 Zuschauer in der "Arena Nova" verzaubert. Sphärische Töne der melancholischen Gothic-Metaller sowie die extrem hohe Stimme der Sängerin - ganz zaghaft, Lambretta, more sophisticated - entführen in märchenhafte Gefilde. Wie Sternenstaub fliegt die entspannte Atmosphäre im stickigen Raum umher. Ein aufgeblasenes Kondom wird herumgeschossen, baut also eine interessante und intime Brücke zwischen den Musikern und Fans. Den Rest erledigen Bühnenschmuck und -Show: Seltsame Schriftzeichen auf aufgestellten Säulen sowie spritzende Feuerflammen aus Tontöpfen lassen mittelalterliches Flair aufkommen. (DK)

 

Christoph Prenner & David Krutzler

Aerodrome/Tag 1


Donnerstag, 10. Juni 2004

Flugfeld, Wr. Neustadt

 

Photo (Luftaufnahme): © Norbert Ivanek/ORF

 

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Alcopops

Es kracht und gewittert, wenn Korn, Motörhead & Slipknot aufspielen. Und dazwischen sorgen Sophia für ein bißchen würdevolle Ruhe. EVOLVER beim Aerodrome, Teil zwei.  

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