Musik_Slipknot - Vol. 3 (The Subliminal Verses)

Schreckgespenst

Mit ihrer dritten Platte müßten sie sich eigentlich nichts mehr beweisen. Daß sie es dennoch versuchen und dabei zahllose neue Facetten an sich entdecken, spricht für sie.    15.06.2004

Slipknot standen permanent unter dem Dauerfeuer derjenigen, die sie aburteilten, auch wenn die Band dies mit ihrer permanenten Selbstinszenierung wahrscheinlich gewollt hatte. Das sei keine Musik mehr, sondern Lärm, sagten die, die Pearl Jam für "heavy" hielten. Das sei großartig, sagten die von der Band selbst liebevoll "Maggots" getauften Fans, zumeist verirrte Jugendliche im pubertären oder berufsjugendlich gebliebenen Alter.

Was tut man also, wenn man konsequent von allen Seiten beschossen wird - ob mit fanatischer Verehrung oder glühendem Haß? Man weicht zur Seite aus. Genau das versuchen Slipknot mit ihrem dritten Werk "Vol. 3 (The Subliminal Verses)", auf dem sie sich konsequent neu erfinden wollen.

"Vol. 3" startet relativ unspektakulär, was aber in diesem Kontext das Gegenteil verursacht - nämlich ein Aufhorchen. Es beginnt mit einem neopsychedelisch wabernden Intro, in dem eigentlich fast gar nichts mehr an Slipknot erinnert, wie man sie kennt. "Now It´s Over" singt Corey Taylor dazu passend mit seiner richtigen Gesangsstimme, und man ist schon fast versucht, ihm zu glauben, bevor ein finales, geschrienes "No!" in den zweiten Song "The Blister Exists" überleitet, der deutlich mehr von den alten Qualitäten hat. Diese Dualität bleibt das ganze Album hindurch erhalten.

Dennoch ist auch bei den vermeintlich typischen Songs irgendetwas anders: die offenen, immer wieder ins Experimentelle und teilweise auch ins Psychedelische abgleitenden Strukturen etwa, oder das Selbstbewußtsein der Band, das man förmlich riechen kann, und nicht zuletzt die immer wieder eingestreuten, aberwitzigen Gitarrensoli. Stone Sour, das letztjährige Nebenprojekt von Sänger Corey Taylor, sind klar hörbar. Die mächtige, atmende, fast grotesk-balladeske erste Single "Duality" (ein Highlight des Albums) etwa hätte auch auf deren Debüt gut gepaßt.

Was "Vol. 3 (The Subliminal Verses) allerdings wirklich ausmacht, ist nicht die Entwicklung der beteiligten Musiker, sondern Slipknots kollektives Fortschreiten als Band selbst: So ist "Vol. 3" die erste Platte, die man ohne Zweifel als "Band-Album" und nicht mehr nur als irgendwie zusammenpassendes kreatives Chaos von Verrückten bezeichnen könnte, wodurch sie qualitativ wertvoller wird als der Vorgänger "Iowa".

Ein Stück wie "Circle" überrascht dabei noch am wenigsten. Die Akustikballade ist nach den erwähnten Soloausflügen Taylors und nach To My Surprise, dem hippiesken Projekt von Drummer Shawn Craham, eigentlich nur folgerichtig, auch wenn Slipknot sie durch einige Psychedelika verfremden, weil sie sich wohl doch ein bißchen dafür schämen. Ähnliches gilt auch für das ebenfalls akustische "Vermillion Pt. 2", dem zwecks Relativierung ein "böser" Zwillingsbruder zur Seite gestellt wird.

Wenigstens gegen Ende dürfen sich die neun Freaks dann aber noch einmal so richtig ausleben. Das schräg-geniale "The Nameless" und der Düsterbrocken "The Virus of Life" machen eine ganz gute Figur und stellen klar: Das hier sind weiterhin Slipknot, diese wirklich BÖSE Band.

"Subliminal Verses" ? Unterschwellige Verse? Eigentlich paßt dieser Titel ja ziemlich gut. Es sind vor allem die Zwischentöne, die verdeutlichen, daß Slipknot sich weiterentwickeln, in verschiedene Richtungen ausdifferenzieren und trotzdem weit genug auf der aggressiven Schiene bleiben, um ihre Basis nicht zu verlieren. Perfekter kann man es eigentlich kaum machen. Man höre beispielhaft den echten Hit "Vermillion", der eben diese beiden Seelen in sich trägt, den neuen Elementen im Gesamt-Sound Platz einräumt und dabei als Highlight auffällt.

Fazit: "Vol. 3 (The Subliminal Verses)" steht für sich klar als bestes Slipknot-Album und bietet 14 Tracks, die schlicht und einfach gut sind. Nur: Klassiker oder gar echte Evergreens (mit Ausnahme von vielleicht "Duality") hat die Scheibe nicht zu bieten. Vielmehr porträtiert sie eine Gruppe, die gerade musikalisch zu sich selbst findet und dabei mit Hilfe eines tollen Produzenten sehr spannende Facetten entdeckt. Eben diese Entdeckungsreise ist qualitativ hochwertig genug, um das hier vorliegende Album zu einem der besten des Jahres (bisher halt) zu machen. Und wer jetzt immer noch nicht kapiert hat, daß es sich bei dieser Band erstens um wahnsinnig talentierte Musiker und zweitens um einen der faszinierendsten Acts der letzten Jahre handelt, ist selbst schuld, wenn er was verpaßt. Punkt.

Sebastian Baumer

Slipknot - Vol. 3 (The Subliminal Verses)

ØØØØ 1/2


Roadrunner/edel (USA 2004)

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