Stories_Shogun
Ein Stück TV-Geschichte
Lange bevor Tom Cruise überhaupt wußte, was ein "wakizashi" ist, wandelte Fernsehschönling Richard Chamberlain bereits auf dem Pfad des japanischen Kriegers.
04.06.2004
Es ist nun auch schon ein paar Jährchen her, daß Namen wie James Clavell oder Richard Chamberlain in aller Munde waren. Ersterer ist ein Bestsellerautor, der primär durch seine im asiatischen Raum angesiedelten Romane wie "Tai-Pan" oder "Gaijin" bekannt wurde (von Eric Van Lustbader war damals noch lange nicht die Rede) und entscheidend dafür mitverantwortlich war, daß das Interesse der westlichen Welt an Japan sprunghaft anstieg. Und der zweite ist natürlich jener amerikanische Schauspieler, zu dessen Œuvre unter anderem die "Quatermain"-Abenteuer gehörten und der (lange vor Depardieu) in den Dumas-Verfilmungen den "Graf von Monte Christo" und den Aramis der "Drei Musketiere" mimte. Mit "Die Dornenvögel" spielte er sich als Pfaffe in der Glaubenskrise zudem in die Herzen vieler Hausfrauen.
Als einer der größten Erfolge der beiden gilt jedoch die legendäre TV-Adaption "Shogun", basierend auf Clavells Mammutwerk und mit Chamberlain (sowie dem großen Mifune Toshiro) in der Hauptrolle.
Anjin monogatari
Die von Paramount, NBC und natürlich Toho produzierte neunstündige TV-Serie erzählt die Geschichte des englischen Navigators John Blackthorne (Chamberlain), der gegen 1600 an Bord eines holländischen Schiffes auf der Suche nach den damals noch weitgehend unbekannten japanischen Inseln über die Ozeane segelt. Obwohl die halbe Mannschaft bereits schwerkrank unter Deck vor sich hin krepiert, will er seinen Traum nicht aufgeben - und so kommt es, wie es kommen muß: Das Schiff schließt Bekanntschaft mit einem Riff.
Am nächsten Tag erwacht die Besatzung in Japan. Dummerweise ist der einzige, der die fremde Sprache beherrscht, ein fanatischer Jesuitenpater, der die Mannschaft bei den Einheimischen sofort als Piraten abstempelt. Also werden alle festgenommen (und einer davon überhaupt gleich gekocht), und für Blackthorne beginnt eine faszinierende Reise, während der sich ihm die vermeintlich barbarischen Japaner nach und nach als hochzivilisiertes Volk mit strengem Ehrenkodex offenbaren. Die Jesuiten erweisen sich im Gegenzug als raffgierige Charaktere, die erheblich vom Handel mit China profitieren. Und die Japaner widerum erkennen, was Spanien und andere europäische Länder von ihnen halten.
Zur historischen Orientierung: 1635 sollte ein Gesetz erlassen werden, das sowohl die Einreise nach Japan als auch die Ausreise verbot, um 1641 galt das Land als von der Welt abgeschlossen. Die Öffnung Japans wurde erst wieder Mitte des 19. Jahrhunderts zum Thema (Edward Zwicks "Last Samurai" spielt während der Meiji-Periode, zwischen 1868 und 1912).
Zwischendurch gibt´s in "Shogun" aber jede Menge Verrat, Intrigen, unglückliche Liebe und natürlich Fürst Toronaga (Mifune), der Blackthorne unter seine Fittiche nimmt. Bald ist der Engländer als Anjin bekannt und wird als erster Nicht-Japaner zum Samurai ernannt. Doch ob er Japan je wieder verlassen kann?
Der Zahn der Zeit
Die Story von "Shogun" ist also zweifelsohne packend. Dennoch fragt man sich beim Einlegen der ersten Disc, inwieweit nostalgische Erinnerungen an die ersten Fernsehausstrahlungen dem Zahn der Zeit und den dadurch veränderten Sehgewohnheiten standgehalten haben.
Tatsächlich gestalten sich die ersten eineinhalb Stunden der Serie etwas mühselig, doch gelingt es Regisseur London dann doch, den Zuseher selbst nach über 20 Jahren an seine Geschichte zu fesseln und in Clavells Universum eintauchen zu lassen, sodaß sich streckenweise eine emotionale Dichte aufbaut, die in manchen Szenen für blankliegende Nerven sorgt. Das exzellente Casting, die großartigen Sets und die japanische Sprache erledigen das übrige. Londons Ziel war es nämlich, dem westlichen Publikum die fremde Zunge näherzubringen, weshalb die Dialoge nicht untertitelt und die fremde Welt somit durch die Augen (und Ohren) Anjins vermittelt wurden. Während für Anjin (und damit den Zuseher) einerseits in vielen Szenen Dolmetscher tätig sind und die wichtigsten Stellen andererseits von einem Erzähler (im Original übrigens Orson Welles) übersetzt werden, muß man sich den Rest nach Möglichkeit schon alleine zusammenreimen.
Es war einmal
"Shogun" stammt aus einer Zeit, in der außerhalb Japans noch die wenigsten eine Vorstellung von japanischer Kultur oder Geschichte hatten, geschweige denn von der Existenz der dort handelsüblichen Samurai-Sagas a la Nemuri Kiyoshi, Zatoichi, dem "Lone Wolf" und Konsorten wußten. Kurosawa, Mizoguchi & Co. fanden maximal beim Cineastenpublikum Zuspruch; der Kurosawa-Film "Kagemusha" sorgte beispielsweise im selben Jahr wie "Shogun" für Furore im Westen. Selbst die Dreharbeiten gestalteten sich als Pionierarbeit, hatte es doch nie zuvor eine derartige Zusammenarbeit zwischen japanischen und westlichen Filmemachern gegeben.
Zur Ausstattung der DVD:
Die wunderschön gestaltete Box verfügt neben (den Umständen entsprechender) guter Bildqualität und vielen Szenen, die im Fernsehen seinerzeit nicht zu sehen waren über 100 Minuten Bonusmaterial auf einer Zusatz-DVD.
Neben einer Original-Featurette finden sich darauf eine eigens für den DVD-Release produzierte und qualitativ sowie informativ hochwertige 13teilige "Making of Shogun"-Dokumentation sowie drei kurze historische Featurettes zu den Themen Samurai, Geisha und Teezeremonie). Auch ein szenenspezifischer Audiokommentar von Regisseur London ist vorhanden, der allerdings leider nur knapp zwölf Minuten abdeckt. Gerade bei diesem Projekt hätte man gern (noch) mehr über Produktionsbedingungen, die Zusammenarbeit der Film-Teams sowie natürlich Anekdoten erfahren. Aber man kann halt nicht alles haben...
"Shogun" ist jedenfalls ein spannendes Stück TV-Geschichte, würdig auf DVD umgesetzt und für japanophile Menschen sowieso unabdingbar. Wakarimusu ka?
Jürgen Fichtinger
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