Robert Burton - Die Anatomie der Schwermut
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Die andere Bibliothek/Eichborn (Frankfurt a. M. 2003)
Die Neuauflage eines gelehrten Exkurses aus dem 17. Jahrhundert über die Melancholie und wie man es mit ihr aushält, bereitet schwermütiges Vergnügen. 07.05.2004
In Zeiten von Psychoanalyse und Talkshows ist es nicht mehr in Mode, schwermütig zu sein. Das Wort selbst ist irgendwie aus dem aktiven Vokabular entschwunden und mußte dem klinischen Begriff der Depression Platz machen. Und diese kann und muß - wie man weiß - behandelt werden. Wofür gibt es schließlich Antidepressiva?
Alles andere als ein Antidepressivum ist Robert Burtons "Anatomie der Schwermut", die als 228. Band der Anderen Bibliothek im Eichborn-Verlag - und in der gewohnt opulenten Ausstattung dieser Reihe - neu erschienen ist. Mit knapp über 400 Seiten ist das Buch nur eine Auswahl aus dem Original des an einem Übermaß schwarzer Galle leidenden Oxforder Theologen Robert Burton. Umfaßte die 1621 erschienene Erstausgabe noch rund 800 Seiten, so erweiterte Burton sein Lebenswerk in der Folge ständig, bis zur 1400 Seiten dicken Ausgabe letzter Hand von 1651. Unnötig zu sagen, daß das Werk im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges schnell zum Bestseller avancierte.
Die Neuauflage folgt der deutschen Übersetzung von Ulrich Horstmann aus dem Jahre 1988 und steuert einen einführenden Essay des Übersetzers bei. Wer den ganzen Burton will, der muß sich auch weiterhin ans Original halten.
Was die Melancholie ist, das sagt bereits der griechische Begriff. Laut Hippokrates handelt es sich beim Melancholiker um einen Menschen, dessen Körpersäfte aus dem Gleichgewicht geraten sind; dieses hat sich zugunsten der schwarzen Galle (melanchos) verschoben. Das Säftchen hat es dabei in sich, wie bereits der antike Arzt Galenos wußte: "Es beißt und zerfrißt die Erde, schwillt und bläht sich, läßt Blasen entstehen, wie wir sie auf heißen Suppen schwimmen sehen."
Auf Fundstücke dieser Art trifft man zuhauf bei Burton. Handelt es sich beim Buch doch in erster Linie um ein Kompendium, das alles versammelt, was bis zu diesem Zeitpunkt zur Schwermut geschrieben und gedacht wurde. Burton führt Personengruppen an, die besonders anfällig sind. Dazu zählen "diejenigen, die bei ihrer Geburt den schlechten Einflüssen von Mond, Saturn, Merkur ausgesetzt waren, die in einem übermäßig heißen oder kalten Klima leben, melancholische Eltern haben, kleine Köpfe, heiße Herzen, eine heiße Leber und einen kalten Magen besitzen". Männer seien zudem anfälliger für Schwermut, Frauen erwische es dafür stärker.
Man sieht: Die Galle ist nur ein Symptom, die Ursachen liegen woanders. Nicht einmal unbedingt in den kleinen Köpfen und heißen Herzen, sondern in einem "Leiden an der falschen Ausrichtung der Welt".
Ein Jahrhundert später sollte man am Weltschmerz leiden, den die Engländer als "Spleen" bezeichneten - ein wahrhaft spleeniges Verhalten, war doch die Welt inzwischen nach Leibniz zur besten aller möglichen avanciert. Als Gegenmittel sah man daher das Reisen an. Und so kam es, daß bald junge Engländer Kontinentaleuropa zu überschwemmen begannen, daß ein gewisser Percy Shelley vor der italienischen Küste absoff und Lord Byron in einem griechischen Lazarett einen vermeintlichen Heldentod starb.
Anders erging es Burton, der sein Leben in einem Gartenhäuschen im College von Oxford zubrachte. "Gereist bin ich immer nur mit dem Finger auf der Landkarte", meint er. Auch geistliche Karriere machten immer nur die anderen, da sich Burton mit seinem Leiden schwerlich dazu eignete. Dafür fand er seine eigene Therapie: "Ich habe über die Melancholie geschrieben, um sie mir vom Leibe zu halten. Es gibt nämlich keine gewichtigere Ursache der Schwermut als den Müßiggang und kein besseres Heilmittel, als sich zu beschäftigen."
Das Resultat sind ein Buch und ein Autor, mit denen man gerne einige Stunden schwermütigen Brütens verbringt. Auch wenn Burton davor warnt: "Das Buch ist die Lektüre nicht wert." Allerdings ist Vorsicht geboten: Wie der Renaissance-Dichter Marsilio Ficino zu wissen glaubte, ist Melancholie ansteckend, die Übertragung erfolgt mit dem Atem. Melancholische Dämpfe gehen von diesen Seiten definitiv aus - und womöglich auf den arglosen Leser über.
Robert Burton - Die Anatomie der Schwermut
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Die andere Bibliothek/Eichborn (Frankfurt a. M. 2003)
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