Kino_Die Passion Christi

Jesus Christ Splatterstar

Reminds me of Oberammergau: Wanderprediger Gibsons Blockbuster mit Erlösungsanspruch macht keine besseren Menschen. Aber weil er grauslich ist, mag ihn selbst der Papst.    18.03.2004

"Es ist so, wie es war." So oder so ähnlich entfuhr es dem Pontifex maximus vor einigen Monaten anläßlich eines hinter den verschlossenen Mauern des Vatikans abgehaltenen Test-Screenings von "Die Passion Christi". Woher er das so genau weiß (war er gar dabei?) und nach welchen Kriterien er das abzuschätzen vermag, soll aber nicht Thema dieser Besprechung sein. Denn welche Bischofskonferenz den Film nun goutiert und welche nicht, welche Glaubenssegregation sich vor den Kopf gestoßen und welche sich gar vom Heiligen Geist erleuchtet fühlt, solch theologisch genährtes Fachgesimpel entnehmen Sie am besten den Internetseiten von "ORF Religion" (SEHR ausführliche Berichterstattung!).

Sicher ist nur: Damit wurde die Lawine unwiderruflich losgetreten. Und sie rollt bis zum heutigen Tag, was sich in Einspielergebnissen abzeichnet, die bald selbst "Herr Der Ringe 3" blaß aussehen lassen könnten. In den vergangenen Wochen erreichte sie in voller Wirkkraft auch den deutschen Sprachraum.

Was also noch schreiben über einen Film, für den die wohl umfangreichste Vorberichterstattung aller Zeiten praktiziert wurde, über den viel Erhellendes, aber noch weit mehr haarsträubend Törichtes seinen Niederschlag in Text, Ton und Bild fand? Ja, was? Daß es auf keinen Fall schaden kann, eine freiwillig und unentgeltlich sich abplackende PR-Agentur mit rund einer Milliarde Bediensteten im Rücken zu haben? Daß eine wie auch immer geartete journalistische Betrachtungsweise gar keinen Unterschied machen würde - denn selbst wenn man hier selbst aufs Allerblasphemischste vom Rezensionsleder zöge, würden die Massen ab heute abend schon aus purer Neugier (der Autor diese Zeilen nimmt sich hier nicht aus) ins Kino strömen. Daß "Die Passion" ein Paradeexempel von Film für Menschen ist, die noch seltener ins Kino als zum Zahnarzt gehen?

Beschränken wir uns also auf das Faktisch-Filmische. Das ist beschämend genug. Als hätte "Braveheart" noch nicht erschreckend genug Zeugnis vom filmemacherischen Untalent Gibsons gegeben, setzt er hier noch einen Brocken Unfähigkeit drauf. Das eklig angeranzte Biedermann-Pathos, das im schottischen Freiheitskämpferepos die zahlreichen dramaturgischen Leerstellen vergeblich zu übertünchen suchte, ersetzt der ehemals verrückte, jetzt nur noch stockbigotte Maxe in seinen Passionsspielen durch frank eingesetzten Gewaltporno-Zierat, durch Leidensauthentizität suggerieren sollende Folterorgien, durch Marter, Kunstblut und jede Menge Quälerhäme. Deren Einsatz dürfte für Otto Normalchrist zwar immer noch weit über gesundheitsförderlicher Gebühr sein (Stichwort: Herzpatschen!), aber doch nicht annähernd den vorab geäußerten Gewaltopernvorwurf bestärken.

Sonst fällt dem bibelfesten Gibson erschütternd wenig ein: Zeitlupenauspeitschung, Zeitlupenkreuzgang, Zeitlupennägeleinschlagen. Dazu ein Teufel in Frauengestalt (!) mit einem Krüppel (!!) als Kind und sonstiger Unfug, den aufzuzählen hier wirklich zu blöd wäre. Vom wirklich schrecklichen Soundtrack wollen wir einmal ganz absehen. Wenigstens einen Hauch von Spiritualität bei all den bemüht dokumentarisch gemachten S/M-Szenarien erwarten zu dürfen, wäre schon zuviel verlangt gewesen. Auch dafür würde man schon wirkliches Können vom Schlage eines Scorsese oder Pasolini brauchen - und nicht einen so einfallslosen dahinfrömmelnden Handwerker wie Gibson, der sich hier offenbar seiner Chance nicht bewußt zu sein schien. "Die Passion Christi" hätte etwas wirklich Großes, also populär UND ansprechend werden können. Hätte. Mit etwas mehr Distanz zum Originalmaterial.

 

P. S.: Ja, der Film ist antisemitisch. Aber zugleich auch anti-alles-andere. Selten so ein niederträchtiges Menschenbild in einem Film erlebt.

P. P. S.: Ich hoffe, der nunmehr erleuchtete Ex-Alkoholiker Mel Gibson vergibt mir meine anmaßenden Ausführungen.

Christoph Prenner

Die Passion Christi

ØØ

(The Passion of the Christ)


USA 2003

127 Min.

mehrsprachiges OmdU

Regie: Mel Gibson

Darsteller: James Caviezel, Maia Morgenstern, Monica Bellucci u. a.

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