Stories_Die Regeln des Spiels
Generation Ziellos
Jürgen Fichtinger über die DVD-Ausgabe von Roger Avarys gelungener Ellis-Verfilmung, die irgendwo zwischen Larry Clarks "Kids" und Jonas Åkerlunds "Spun" liegt.
03.02.2004
Es war einmal, vor unbestimmter Zeit, ein College in den USA. In diesem scheinbaren Teenager-Schlaraffenland fristeten zahlreiche Studenten zwischen nichtbesuchten Vorlesungen, Marihuana und Koks ihr feuchtfröhliches Dasein. Des Abends war dann Party angesagt, frei nach dem Motto "Bumsen oder gebumst werden". Unter den netten jungen Leuten befanden sich der Gelegenheits-Dealer Sean Bateman, der schwule Paul, die sich für ihren Freund aufbewahrende Lauren und die immergeile Lara. Wenn nicht gerade Stoff-Ranschaffen, Herausputzen für Parties, (Selbst-)Gespräche über den nichtexistenten Sinn des Lebens oder Formen der zwischenmenschlichen Nicht-Beziehung angesagt waren, lag man entweder allein oder zu zweit im Bett. Doch der gute Sean fand immer wieder Liebesbriefe in seinem Postkasten und verliebte sich nach und nach in Lauren, die vermeintliche Absenderin, die wiederum auf ihren durch die Alte Welt tourenden Freund Victor wartete. Dazwischen standen Paul, der sich seinerseits in Sean verguckt hatte, sowie zahlreiche andere Teen-Existenzen. Mit fortschreitendem Geschehen geriet das bisher vermeintlich perfekt tickende Uhrwerk außer Kontrolle, wodurch man zwangsläufig auch die eigene Existenz zu hinterfragen hatte.
Das moderne Märchen, das Roger Avary beziehungsweise Autor Bret Easton Ellis hier servieren, ist ein wunderbares Gegenstück zu sämtlichen Teenie-Serien - oder auch die dunkel-humorige Seite der "American Pie"-Medaille. Hier wankt man triebgesteuert, vergnügungssüchtig und egozentriert durch den Campus, ohne klares Ziel vor Augen. Avary gelingt es in seiner Adaption der Romanvorlage, im Gegensatz zu seinen Regievorgängern, trotz geringfügiger Änderungen Ellis´ erzählerisches Flair einzufangen und die ursprünglich in den 80ern angesiedelte Handlung in eine zeitlose Blase einzubetten. Unterstützt wird er dabei durch das gelungene, teils ungewöhnliche Casting. "Dawson´s Creek"-Weichei James van der Beek mimt den kaputten Bateman (übrigens der Bruder des "American Psycho"), Jessica Biel aus der erzmoralischen "Himmlischen Familie" den geilen Gelegenheitsfick für zwischendurch, und die bezaubernde Shannyn Sossamon seine jungfräuliche Herzensdame in spe. Doch auch der Rest der Belegschaft fügt sich ins Gesamtbild. Wo Avary draufsteht, ist natürlich auch Eric Stoltz - hier als ausgefuchster Tutor - drin, ein Junkie-Cameo liefert Fred "Wunderbare Jahre" Savage, und die große Faye Dunaway amüsiert als Pauls gern angesäuselte Mutter. Nebenbei sehen wir auch noch Thomas Ian "American Pie" Nicholas sowie einen erinnerungswürdigen Kurzauftritt des Komponisten Paul Williams als Notarzt.
Doch nicht nur die Drehbuchadaption ist gelungen, auch der filmische Erzählstil und dessen visuelle Umsetzung begeistern. Neben dem Fast-Rewind-Modus, in dem das soeben Geschehene zurückgespult wird, um an einem bestimmten Punkt wieder einzusetzen und aus der Sicht eines anderen Protagonisten weiterzuerzählen, ist es vor allem die erste richtige Begegnung zwischen Sean und Lauren, die begeistert. Deren beider Tag beginnt nämlich mittels Split-Screen-Technik und wird konsequent parallel weitererzählt, bis sich die jungen Leute schließlich in der jeweiligen Großaufnahme gegenüberstehen und die Kamera das Bild im entscheidenden Moment dank Motion Control zu einem gemeinsamen weiten Doppel vereint.
Dieser Punkt bringt uns auch schon zu den Special Features der DVD. Besagte Szene wird in der Sundance-Channel-Featurette "Anatomy of a Scene" (nach Ansicht des Autors dieser Zeilen eines der informativsten Features, das eine DVD besitzen kann, siehe auch Carnahans "Narc") dekonstruiert und gewährt Einblick in Planung und Umsetzung. Weiters gibt es diverse Produktionsnotizen sowie einen Audiokommentar von Production-Designerin Sharon Seymour, den beiden Schauspielern Ian Sommerhalder und Russel Sams sowie Pornostar Ron Jeremy(!). Während letzterer durch Anekdoten amüsiert und Seymour über ihre Herangehensweise an die Set-Gestaltung berichtet, erweist sich das Gebrabbel der beiden Akteure weitgehend als homophobe Präventivrechtfertigung, damit man ja nicht annimmt, ihnen wäre im richtigen Leben auch nur ein Hauch von Tucke zueigen.
Alles in allem liegt mit "Rules of Attraction" nicht nur die erste einwandfreie Umsetzung eines Ellis-Stoffs für die Leinwand vor, sondern der Filmemacher und Ex-Tarantino-Sidekick Avary ist damit vollends aus dem Schatten des selbsternannten "Cinema of Cool"-Königs herausgetreten (sein Debüt "Killing Zoe" war zwar durchwegs unterhaltsam, aber nicht der große Wurf) und durfte zeigen, was an kreativer Energie in ihm steckt. Somit gilt es nur noch die Wartezeit zu überbrücken, bis "Glitterati" und "Glamorama" endlich abgedreht sind - und zu hoffen, daß der Regisseur die selbstgelegte Qualitätslatte halten kann. In diesem Sinne: "Rock´n´Roll!"
Jürgen Fichtinger
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