Stories_Viennale 2006/Journal I

Schall und Rauch

The Queen ist not amused - und auch Tony Soprano hat Probleme. Zum Glück bringen uns eine Block Party und eine sympathisch mißratene Sippe auch erfreuliche Nachrichten.    16.10.2006

Viennale-Eröffnungsfilme bergen eine beruhigende Logik in sich: sie sind nur jedes zweite Jahr eine Empfehlung wert. Nachdem das Wiener Filmfestival aber schon 2005 mit einem unerwarteten Knalleffekt - Woody Allens überraschender Wiederauferstehung "Match Point" - eingeläutet wurde, konnte man heuer mit ziemlicher Gewißheit davon ausgehen, daß das Pendel wieder in Richtung Cineasten-only-Befriedigung ausschlagen würde.

Und so war es denn auch. Dabei war Stephen Frears´ The Queen noch ein nahezu unwidersprochener (Kritiker-) Lobesschwall vorausgeeilt. Doch Venedig-Lobpreis hin, astronomischer 99-Prozent-Zustimmungsgrad bei "Rotten Tomatoes" her - dieses Sittengemälde der englischen Monarchie der Jetztzeit ist leider nur leidlich gelungen. Frears´ Strategie, sich Königin Elizabeth II. von der menschlichen Seite her anzunähern, uns mittels sanft satirischer Pseudo-Hofberichterstattung ihre Unfähigkeit zu öffentlicher Emotion (anläßlich Lady Dis Tod) zu zeigen, mag der einzig gangbare Weg sein, Nicht-"Frau im Spiegel"-Leser für das Thema zu erwärmen. Dennoch ließ der Streifen den Schreiber dieser Zeilen über weite Strecken kalt, was genau das Gegenteil der erwünschten Reaktion gewesen sein dürfte. Drei, vier gelungene Späßchen und eine mimische Gratwanderung von Helen Mirren reichen halt nicht aus, um zu einem abgestandenen Thema einen erfrischenden Zugang zu finden.

Vielleicht sind Viennale-Eröffnungen aber wirklich nur dann gut, wenn Scarlett Johansson mit von der Partie ist ...

 

Verglichen mit den Protagonisten von Lichter der Vorstadt ist aber selbst die dauerunterkühlte Queen ein regelrechter Quell des sprudelnden Lebens. Kein Wunder, handelt es hier doch um einen Film aus der Feder von Aki Kaurismäki ("Der Mann ohne Vergangenheit"), dessen Markenzeichen es ist, seine Protagonisten bevorzugt als Wachsfiguren anzulegen. Das kann in manchen Fällen sogar einen spröden Charme haben - aber nicht hier. 80 (viel zu lange) Minuten einem apathischen Verlierer dabei zuzusehen, wie er von einer Scheiße in die nächste geritten wird, um darob immer noch bedröppelter dreinzuschauen und noch mehr zu rauchen, das hält nicht mal der abgebrühteste Lakonik-Liebhaber aus.

Wie man einer Loser-Bande Leben und Sympathie einhaucht, demonstriert das Ex-Videoclipmacher-Ehepaar Jonathan Dayton und Valerie Faris mit Little Miss Sunshine. Als die jüngste Tochter zu einem Kids-Schönheitswettbewerb eingeladen wird, bricht die äußerst dysfunktionale Familie Hoover in einem klapprigen VW-Bus zu einem Road-Trip quer durch die US of A auf. Dabei sind der den American Way propagierende, daran aber langsam zerbrechende Vater, der alles in sich reinschnupfende Opa (Alan Arkin), der suizidale, schwule Onkel (Steve Carell) und der Nietzsche lesende, freiwilig stumm bleibende Sohn - sowie die Mutter, die das Chaos irgendwie zusammenhalten soll. Daß einem dieser hoffnungslose Haufen während seiner an grotesken Erlebnissen nicht gerade armen Reise zusehends an Herz wächst, ist eines der großen Verdienste des meisterlich gesponnenen Drehbuchs. Das andere ist der mit Worten nicht zu beschreibende Irrsinn des finalen Wettbewerbs. Die sympathischste Verlierersippe seit den Tenenbaums - und das unwahrscheinlichste Feelgood-Movie des Jahres.

 

Ein Gute-Laune-Film klassischen Zuschnitts ist dafür Dave Chappelle´s Block Party von Michel Gondry ("Science Of Sleep"). Was ja auch im Sinne des Konzepts ist - denn das ist so einfach wie einnehmend: Man nehme einen der begnadetsten Komiker seiner Zeit und lasse ihn eine riesige Free-Party mitten im Block veranstalten, für die er all die Koryphäen, die "conscious" (ja, blödes Wort) Black Music derzeit aufbieten kann, zusammentrommelt: The Roots, Mos Def, Erykah Badu, Kanye West, Dead Prez sowie - mit ihrem Comeback-Gig - The Fugees. Der Charme dieser Block Party entfaltet sich dann ganz wie von selbst - durch die live dargebotenen HipHop- und Soul-Greatest-Hits des vergangenen Jahrzehnts sowie natürlich Chappelles unwiderstehlichen Humor (und Witzen wie dem von der fleißigsten Hure von allen: der, die sich eine Vagina in die Hüfte einpflanzen läßt, damit sie "some money on the side" machen kann).

Gesungen und getanzt wird auch in Romance & Cigarettes (wo dem Titel entsprechend auch ähnlich viel geraucht wird wie in "Lichter der Vorstadt"). Logisch, ist ja auch ein Musical. Warum sich Schauspieler John Turturro für seine dritte Regiearbeit ausgerechnet an dieses schwierigste (weil nervendste) aller Genres gewagt hat, bleibt sein Geheimnis. Er wollte uns wohl allen noch einmal "Pennies From Heaven" oder ähnliche Dennis-Potter-Werke ins Gedächtnis rufen, an die dieses fröhliche Geträller sehr stark erinnert - mit dem entscheidenden Unterschied, daß es hier eben Bad Boys wie James "Tony Soprano" Gandolfini oder Christopher Walken sind, die zu Elvis- oder Engelbert-Songs ihre Stimmbänder zum Schwingen bringen. Eine Weile hat das durchaus seinen sehr eigenen Reiz, über die gesamte Filmlänge läßt das Vergnügen aber merklich nach, weil die Geschichte durch die Singsang-Einlagen immer wieder an Drive verliert. Am stärksten ist Turturros Film dann auch in der gesangslosen letzten Viertelstunde. Oder immer dann, wenn Kate Winslet ihren grandiosen "Extras"-Auftritt hierfür gleich einmal verlängert und wirklich keinen Satz spricht, ohne darin irgendwas Ordinäres zu verpacken.

Christoph Prenner

Viennale 2006


Wien, diverse Kinos

13.-25. Oktober 2006

 

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