Kino_Volver (Zurückkehren)

No Man´s Land

Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs, ausschweifende Begrüßungsorgien, gutes Essen, tote Männer: Willkommen in der Welt des Pedro Almodóvar!    03.08.2006

Spaniens einziger aktueller Filmemacher von Weltrang kehrt mit "Volver" in seine ländliche Heimat La Mancha zurück - und zu den Sujets, die bereits viele seiner früheren Dramödien bestimmten. Das angeblich schwache Geschlecht erlebt bei Almodóvar seine Ehrerbietung auf einer knallbunten Bühne. Männer sind da höchstens eine verzichtbare Beilage, die meist unsanft ins wohlverdiente Jenseits befördert wird.

Paco (Antonio de la Torre) kann von letzterem ein Lied singen, zumindest hypothetisch. Nachdem er sich seiner Stieftochter Paula (Yohana Cobo) unsittlich genähert hat, findet er sich blutüberströmt auf dem heimischen Küchenboden wieder - mausetot. Raimunda (Penélope Cruz), Paulas Mutter, nimmt die Vertuschungsaktion höchstselbst in die Hand. Um unliebsame Fragen zu umgehen, verschwindet der Gatte kurzerhand in der Kühltruhe des benachbarten Restaurants.

Für einen echten Almodóvar wäre ein simpler Plot im schwarzhumorigen Gewand einer Coen-Farce sicher zu wenig. Deshalb muß sich die resolute Kämpferin Raimunda zusätzlich mit der Beerdigung der geliebten Tante und den zunächst unerklärlichen Stimmungsschwankungen ihrer Schwester Sole (Lola Duenos) herumschlagen. Was Raimunda nicht weiß: Der Geist ihrer verstorbenen Mutter (Carmen Maura) ist aus dem Nichts aufgetaucht und bei Sole eingezogen.

Mit tragikomischen bis absurden Frauengeschichten begann Almodóvars Einzug in den cineastischen Olymp. Wie als Beweis, daß er es auch anders kann, schlug er in seinen letzten beiden Filmen "Sprich mit ihr" und "La mala Educacion - Schlechte Erziehung" einen anderen, weitaus düstereren Ton an. Außerdem verzichtete er darauf, die bei ihm stets präsente homoerotisch aufgeladene Ikonographie noch länger hinter schrillen Primadonnen in High Heels zu verstecken. Wenn die Kamera Gael Garcia Bernal bei dessen Wasserspielen im sonnendurchfluteten Swimmingpool beobachtete, nahm das schon fast rauschhafte Züge an.

In "Volver" ist von dieser ästhetisch höchst anspruchsvollen Bildsprache nicht mehr viel übrig geblieben. Enttäuschend banal fühlt sich Almodóvars Geschichte über drei Generationen von Frauen an. Die Mise en scène hat keinen besonderen Wiedererkennungswert, ein sinngebendes Spiel mit Brennweiten, Schärfen und Perspektive findet kaum statt.

 

Der unspektakuläre Aufbau des filmischen Raumes findet seine Entsprechung in den übrigen, standardisierten und für Almodóvars Verhältnisse sehr limitiert erscheinenden Produktionswerten. Gäbe Penélope Cruz nicht eine emotional aufgeladene Gesangseinlage zum Besten, so würde der Soundtrack mit seinen dezenten Folklore-Elementen womöglich unberührt und ungehört am Zuseher vorbeiplätschern. Die experimentierfreudige Zeit, das signalisiert uns Almodóvar mit "Volver", gehört augenscheinlich der Vergangenheit an. Jetzt mit 56 Jahren ist man(n) in einem Alter, wo die Lust, filmisch auch einmal neue Wege zu beschreiten, spürbar nachläßt.

Trotz einer verführerischen Schönheit wie Penélope Cruz, deren Darstellung die Hingabe für ihren Charakter erahnen läßt, blendet "Volver" das sexuelle Motiv komplett aus. Selbiges trifft auf Almodóvars schrille Regieeinfälle zu, die in diesem Exemplar familientauglicher Unterhaltung als Störfeuer wahrgenommen werden würden und schon deshalb in den Hintergrund gedrängt werden.

In Cannes bringt man Almodóvar wenigstens noch die Anerkennung entgegen, die er verdient zu haben glaubt. Die Auszeichnungen für das "Beste Drehbuch" und das "Beste (weibliche) Ensemble" gingen in diesem Jahr an "Volver". Und zumindest der Preis für das Script provoziert die Frage, nach welchen Kriterien die Jury geurteilt hat.

"Volver" knüpft zwar an die bekannte frauenzentrierte Weltsicht des Spaniers an, ohne dabei jedoch den Sprachwitz früherer Almodóvar-Werke zu erreichen. Nur selten blitzt in den Dialogen der schmerzlich vermißte trockene Humor auf. Stattdessen erlaubt sich der Film Scherze zwischen halbgarem Slapstick (Soles Versuche, die Rückkehr ihrer angeblich verstorbenen Mutter vor Raimunda zu verheimlichen, gehören in eine Sitcom) und fragwürdigem Klamauk.

Erst in der letzten Viertelstunde, wenn Raimundas Mutter reinen Tisch macht, schüttet auch "Volver" uns sein wahres Herz aus. Da entblättert sich vor unseren Augen Schicht für Schicht der emotionale Kern, der zuvor so schmerzlich vermißt wurde, eigentlich den gesamten Film hätte zusammenhalten müssen. Auf einmal ist sie wieder da, wie aus dem Nichts: die symbiotische Beziehung zwischen Weinen und Lachen. Dafür wird Almodóvar schließlich geliebt, dafür wird er als europäischer Filmemacher gefeiert und respektiert. Gerade wenn ein Werk den verheißungsvollen Titel "Volver" trägt, hätte die Rückkehr zu alter Größe aber getrost etwas früher einsetzen können.

Marcus Wessel

Volver (Zurückkehren)

ØØ 1/2

(Volver)


Spanien 2006

120 Min.

span. OF und dt. Fassung

Regie: Pedro Almodóvar

Darsteller: Penélope Cruz, Carmen Maura, Lola Dueñas u. a.

 

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