Stories_Deadwood - Season 2

In einer kleinen Stadt

Der interne Machtkampf in der Westernwelt wird intensiver, bildet neue Interessensgruppen und fordert unschuldige Opfer. Dietmar Wohlfart liebt auch die zweite Staffel der Serie.    19.06.2006

Die fragilen, durch Korruption, Intrigen und Auftragsmorde geschaffenen Grundpfeiler Deadwoods werden von mannigfaltigen Erschütterungen getroffen. Ein klares Epizentrum dieser atmosphärischen Eruptionen ist nicht auszumachen; multiple Ursprungsherde erscheinen daher umso wahrscheinlicher.

Aus E. B. Farnums (William Sanderson) Grand Central Hotel sind einige dieser Stöße sogar akustisch wahrnehmbar. Dort vergnügt sich Deadwoods frisch gekürter Sternträger Seth Bullock (Timothy Olyphant) mit der Witwe Alma Garret (Molly Parker), die ihre eher künstlich zur Schau getragene Trauerphase nunmehr endgültig beendet hat.

Nicht nur Farnum registriert die letztliche Überwindung der lange Zeit anstandshalber nur angedeuteten gegenseitigen Sympathiebekundungen des Paares - E. Bs Herr und Meister, Oberintrigant Al Swearengen (Ian McShane), kommentiert recht unmißverständlich Bullocks Privatabenteuer, was zu einem hitzigen Faustgefecht zwischen dem Sheriff und seinem natürlichem Gegenspieler vor den Toren des berüchtigten Gem Saloon führt. Die blutverschmierte Szenerie wird jäh durch ein Geisterduo aus Bullocks Vergangenheit ergänzt: Mrs. Martha Bullock (Anna Gunn), Seths Ehefrau und Witwe dessen verstorbenen Bruders, erreicht die Wüstenkommune mit Sohn William (Josh Eriksson) in einem für alle Beteiligten zweifellos ungünstigen Augenblick. Martha platzt unbewußt in ein delikates Beziehungskonstrukt im Herzen der titelgebenden Stadt ...

 

Alte Streiter, frisches Blut

 

Die zweite Staffel der HBO-Erfolgsserie präsentiert die bestimmenden Protagonisten Deadwoods in prekären beziehungstechnischen Konstellationen und setzt das pulsierende Nest außerdem den Ausläufern des modernen Fortschritts, politischen Umschwüngen und externen Wirtschaftsinteressen aus. Spielverderberin Martha bleibt dabei nicht der einzige prominente Neuankömmling: Edelhure Joanie Stubbs (Kim Dickens), die sich von ihrem unberechenbaren Brötchengeber Cy Tolliver (Powers Boothe) mittlerweile völlig entfremdet hat, strebt nach Unabhängigkeit und steht kurz vor der Eröffnung ihres eigenen Etablissements, des "Chez Ami". Verstärkung findet sich in Gestalt der ebenso geschäftstüchtigen wie kompromißlosen Maddie (Alice Krige) ein, die zusammen mit Joanie die Führung des neuen Lusttempels übernimmt. Derweil begutachtet der undurchsichtige Francis Wolcott (Garret Dillahunt) im Auftrage des Magnaten George Hearst (Gerald McRaney) den Wirtschaftsstandort Deadwood. Und Alma Garett droht durch die als Kindermädchen verstoßene und nun gegen ihre ehemalige Arbeitgeberin konspirierende Ms. Insringhausen (Sarah Paulson) Gefahr.

Während sich weitere, unterschiedlich geartete Persönlichkeiten der Schicksalsgemeinschaft anschließen, das natürliche Gefüge verschieben, Akzente setzen oder aber auch todbringende Kettenreaktionen in Gang setzen, nehmen vertraute Gesichter ihre angestammten Positionen in Deadwoods Personalgefüge ein, um alsbald mit neuen Herausforderungen konfrontiert zu werden. So feiert Calamity Jane (Robin Weigert) ihr Comeback in schwerster Alkoholabhängigkeit; Charlie Utter (Dayton Callie), den die Loyalität zu der verstorbenen Schützenlegende "Wild Bill" Hickok mit Jane verbindet, findet ebenso nach Deadwood zurück. Im Chinesenviertel wird Wus (Keone Young) Alleinherrschaft durch einen rivalisierenden Landsmann gebrochen. An anderer Stelle tritt Zeitungsmann Merrick (Jeffrey Jones) tapfer für die Verteidigung der Pressefreiheit ein und stärkt sein angeschlagenes Selbstbewußtsein durch den überraschenden Zuspruch Al Swearengens. Dieser durchleidet zuvor seine schmerzerfülltesten Stunden - in einem höchst intimen Kampf mit seiner versagenden Gesundheit.

 

Im Umbruch

 

Die Entwicklung weg von der rauhen, gesetzlosen Ursprünglichkeit des Wilden Westens konfrontiert bald auch die ruchlose Einwohnerschaft Deadwoods. Der von Swearengen und Tolliver betriebene Machtkampf um die ortsinterne Vorherrschaft verliert schnell an Relevanz, gerät das Städtchen doch unversehens ins Blickfeld wirtschaftspolitischer Interessen: Als Francis Wolcott im Namen des mächtigen Wirtschaftsspekulanten George Hearst damit beginnt, Gerüchte über den Wert der Gold-Claims von Deadwood in Umlauf zu bringen, um die einfältigen Schürfrechtsinhaber zum Verkauf zu bewegen, sorgt dies für kalkulierte Unruhe.

Durch den Schattenwurf Hearsts verdunkelt sich für Al Swearengen und seine Spießgesellen der Himmel über Deadwood. Politische Regulierungsversuche von außen und die Einwirkung des unabwendbaren Fortschritts in Form eines frisch installierten Telegraphen stellen neue Bedrohungen dar, die die Geduld des Dorffürsten Swearengen auf die Probe stellen und seine Machtposition zu unterminieren drohen. Als Konsequenz ergeben sich wechselnde Allianzen unter den gestaltenden Persönlichkeiten Deadwoods. Alleine ist Al den Herausforderungen einer Stadt im Umbruch einfach nicht mehr gewachsen.

 

Von Wiedergängern und unverschließbaren Schandmäulern

 

Garret Dillahunt, Darsteller des versoffenen Redneck-Wracks "Jack McCall", das einst für den Mord an Bill Hickok sein Leben lassen mußte, gehört ebenso der Besetzung der zweiten Staffel an. Hier mimt er den schwer klassifizierbaren Francis Wolcott, dessen dunkle Triebmechanismen das Hurenvolk Deadwoods vor ernsthafte Probleme stellen. Wenn der unnahbare Kundschafter Wolcott allmählich den Weg an die Goldquellen der Stadt für seinen Schutzherrn Hearst ebnet und nebenher in den Freudenhäusern des Ortes einen bleibenden Eindruck hinterläßt, darf man Serienschöpfer David Milch für die Integration eines weiteren veredelnden Antagonisten in den Deadwood-Kosmos gratulieren und Akteur Dillahunt zu seinem radikalen Rollenwechsel beglückwünschen.

Weiterhin straff und potent ausgestaltet bleiben "Deadwoods" Charakterzeichnungen. Dieser Umstand bildet die größte Stärke des goldverkrusteten Serien-Highlights aus dem Hause HBO. Es ist ein erstaunlich vitaler Mix aus grauschattierten Heroen und niederträchtigen Hurensöhnen, goldherzigen Straßenmädchen und sexsüchtigen Cholerikern, loyalen Gefährten und eiskalten Opportunisten, die sich in dem historischen Wildwest-Höllenschlund symbiotisch ergänzen. Die Innenleben dieser Figuren sind derart glaubhaft codiert, ihre Verzahnungen ineinander so erfreulich nachvollziehbar und logisch angelegt, daß selbst die scharfen, fast willkürlich anmutenden Schnittfolgen, die die Handlungsstränge immer wieder kappen, ohne negativen Effekt bleiben.

Doch werden die zwischenmenschlichen Gewaltoffensiven nicht nur in Form verheerender Kugelhagel, sondern auch durch deftige verbale Rundumschläge geführt. Diese waren schon in teils irritierender Deutlichkeit während der ersten "Deadwood"-Staffel omnipräsent, galten jedoch eher als zusätzliches Mittel zur Stilprägung. Aber die bis zum Bersten mit Obszönitäten aller Art zugekleisterten Geschütze, die Milch und seine Autorentruppe nunmehr auffahren, fügen dem Gesamtwerk ob ihrer Häufigkeit Schaden zu. X-fach durchbrechen die "Deadwood"-Charaktere sämtliche verbalkommunikativen Geschmacksuntergrenzen und streuen dabei zuweilen Sand in die narrative Antriebswelle.

 

Absehbare Zukunft

 

Letztlich triumphieren aber die alten Qualitätsmerkmale des ausgefeilten Grundkonzepts. Allzu oft sprießen die Höhepunkte, lassen echte Glanzmomente innerhalb der Serie diesen Schmelztiegel der unmoralischen Randexistenzen South Dakotas in all seiner nihilistischen Pracht erstrahlen. Und längst hat man die dramatisierten Gründerväterporträts ins Herz geschlossen und ihre Lebensgeschichten verinnerlicht. Schweinehund Swearengen absorbiert nach wie vor einen beträchtlichen Teil der Aufmerksamkeit - seine verspielte Bösartigkeit und sein schier unerschöpflicher Einfallsreichtum zementieren seinen Status als treibende Kraft der Serie. Und während Dauerkonkurrent Cy Tolliver in immer kürzen Abständen die Grenze zum Irrsinn überschreitet, betritt mit Francis Wolcott ein unterkühlter Soziopath die Bühne. Machtverhältnisse werden umgestaltet und frische Achsen gebildet; akzentuierte Comebacks und kurzweilige Intermezzi neuer Figuren sorgen für Abwechslung. Die substantiellsten Wendepunkte der Staffel sind unwiderstehlich dicht, fast opernhaft durchkomponiert. Das Neo-Casting ist perfekt, die Darstellerriege leistet sich keinerlei Ausfälle.

Leider wird die dritte Staffel des preisgekrönten HBO-Juwels zugleich auch dessen Ende einläuten. Denn trotz unbestrittener Qualitäten hat ein ökonomisch ungesundes Kosten-Nutzen-Verhältnis "Deadwoods" Schicksal vorzeitig besiegelt. Immerhin ist es ein Abschied auf Raten, wurde doch in letzter Minute ein Deal zwischen Milch und HBO abgesegnet, wonach der dritten Season noch zwei jeweils zweistündige "Deadwood"-TV-Filme nachfolgen werden. Damit wurde ein wenig mehr Raum für einen würdigen Abschluß der Serie geschaffen.

Dietmar Wohlfart

Deadwood - Die komplette zweite Season

ØØØØ


Paramount (USA 2005)

DVD Region 2, 4 DVDs

592 Min., dt. Fassung oder engl. u. franz. OF

Darsteller: Timothy Olyphant, Ian McShane, Molly Parker u. a.

 

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