Kino_Inside Man

Ba-Ba-Ba-Banküberfall

Spike Lee dreht keine Filme, sondern "Joints". Sein neuer führt ihn weg vom kleinen New Yorker Independent-Projekt und hin zum großen, starbesetzten Hollywood-Kino.    23.03.2006

Im filmhistorisch bestens abgearbeiteten Feld des "Heist"-Genres spielt "Inside Man" mit unseren Erwartungen betreffend Plot und Charaktere. Leider deckt Lee etwas zu früh die Karten auf - und auch sonst kann sein Film nicht mit dem größten Pfund einer jeden Heist-Story wuchern: dem Überraschungsmoment.

Zunächst scheint alles auf einen "normalen" Banküberfall hinauszulaufen. Eine Truppe als Maler verkleidete Gangster nehmen Mitarbeiter und Kunden einer New Yorker Bank als Geiseln. Sie stellen zunächst keine konkreten Forderungen, sondern wollen lediglich, daß ihnen als Fluchtmöglichkeit ein aufgetanktes Flugzeug bereitgestellt wird. Das und ihr gesamtes atypisches Verhalten stellen Detective Keith Frazier (alter Lee-Kollaborateur: Denzel Washington) vor ein Rätsel. Was wollen diese Typen?

Als wäre die Situation nicht schon explosiv genug, muß sich Frazier auch noch mit Kompetenzstreitigkeiten herumschlagen und einer smarten Unbekannten (Jodie Foster), die vom Bürgermeister höchstpersönlich mit allen Freiheiten in dieser Sache ausgestattet wurde, das Feld überlassen. Hinter ihr steht ein mächtiger Mann mit einer dunklen Vergangenheit.

Warum Lee sich zu "Inside Man" überreden ließ - drehte er doch zuletzt so kleine brillante Studien wie "25 Stunden" -, wird auch nach Ansicht des gesamten Films nicht wirklich ersichtlich. Eigentlich ist das Ergebnis nicht mehr ein konventioneller, mit kleineren Raffinessen und pointierten Dialogen über seine Starpower vermarktbarer Thriller geworden. Dem Drehbuch entlockt Lee nur selten eine spürbar eigene Note, und wenn er das tut, wirkt es fast noch wie ein etwas holpriges unbeholfenes Zwischen-Statement, das als Alibi herhalten muß. Da treffen sich Washington und Foster exakt vor einem Erinnerungsplakat an den 11. September mit der immer gleichen Botschaft "We will never forget". Oder die Polizisten schreien eine freigelassene Geisel zunächst fälschlicherweise als "Araber" zusammen, obwohl der Mann ganz klar als Sikh zu erkennen ist, was er dann in einem Monolog zur Rassendiskriminierung wieder aufgreift. Selbst New York fungiert nur als unbeteiligte Kulisse. So gesehen könnte "Inside Man" auch in jeder anderen Großstadt der USA spielen.

 

Die Stärken des Films liegen klar bei den Duellen zwischen Cop und obercoolem Gangster. Clive Owen gibt einmal mehr eine beeindruckende Darstellung ab, die von Washington nicht mehr gekontert werden kann. Die Sympathien des Publikums teilen sich schnell auf beide Männer auf, wird doch bereits nach kurzer Zeit klar, daß Owens Mastermind eigentlich ein guter Mensch ist, der selbst einer Fliege nicht wirklich etwas zuleide tun könnte (OK, so ganz wörtlich ist das jetzt nicht zu nehmen). Dieser Mann ist kein skrupelloser Krimineller - und während der Zuschauer sich noch fragt, was er denn nun tatsächlich ist, wird derart offensichtlich der milliardenschwere Bankmäzen (Christopher Plummer) auf die Bühne gehoben, daß die Lösung eigentlich nur noch in eine Richtung gehen kann. Man hofft, der Film möge nicht in die Klischeefalle tappen, doch da hängt er bereits bis zum Knöchel drin.

Was "Inside Man" dann aber schlußendlich noch besser als diese uninspirierte Komponente macht, das ist Owen, Foster, Plummer und Washington zu verdanken, die mit ihrer Leinwandpräsenz aus einem dünnen Grundkonstrukt noch einiges herausholen. Auch Willem Dafoe sei nicht vergessen: Er ist zwar nur selten zu sehen, weiß aber dann mit einer Mischung aus schleimiger Ergebenheit und offener Rivalität zu Washingtons Saubermann-Polizist zu gefallen.

Selbstredend hat sich Drehbuchautor Russell Gewirtz zum Ende noch einige Twists und Pointen einfallen lassen. Die plakativste ist sicher die Mutation des Gangsters zu einer Art "modernem Robin Hood"; die meisten verpuffen aber, weil der Film nach dem Ende der eigentlichen Geiselnahme lieber politische Statements und Wohlfühlphantasien hegt, als der Realität ins Auge zu blicken. Der Abfall der Spannungskurve verläuft ähnlich rasant wie eine Abfahrt auf der zu Beginn gezeigten Achterbahn. Wir wissen doch alle, daß Denzel Washington ein dufter Typ und "kind-hearted guy" ist - wieso also, um Himmels willen, vollführt der Film diese verkrampfte "David gegen Goliath"-Nummer, die eindeutig besser bei Erin Brockovich aufgehoben wäre?!

 

Seit Jean-Pierre Melville 1955 mit "Bob le Flambeur" und ein Jahr später Stanley Kubrick mit "Die Rechnung ging nicht auf" so etwas wie die Prototypen aller Heist-Filme ablieferten, versucht sich Hollywood in regelmäßigen Abständen an einer Neuauflage des Banküberfall-Themas, gewürzt mit dramatischen oder gesellschaftskritischen Untertönen. "Inside Man" ist vermutlich zu sehr damit beschäftigt, fortwährend um die eigene Achse zu rotieren, um festzustellen, wie banal die Story im Grunde genommen ist.

Das hört sich jetzt negativer an, als es gemeint ist - denn über weite Strecken weiß "Inside Man" dank einer schnittigen Inszenierung, einer tollen Kamera (Matthew Libatique) und durchaus humorvollen Einfällen zu unterhalten. Es ist nur so, daß man sich von Spike Lee einfach mehr wünschen würde, als daß er einen Film dreht, den so auch ein Dutzend andere Regisseure hätten machen können.

Wenn der Autor dieser Zeilen zuweilen gedankenverloren vor sich hinphilosophiert, welche 20 Filme er wohl im Fall des Falles auf eine einsame Insel mitnehmen würde, dann sind immer gleich drei Lee-"Joints" darunter: der aufrüttelnde "Do the Right Thing", der zornige "Malcolm X" und der versöhnliche "25 Stunden". Kein anderer Regisseur wäre in seinem ganz persönlichen Kanon öfters vertreten, und niemand anders hätte diese Filme jemals realisieren können.

Marcus Wessel

Inside Man

ØØØ


USA 2006

129 Min.

Regie: Spike Lee

Darsteller: Denzel Washington, Clive Owen, Jodie Foster u. a.

 

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