Rosenstolz - Das grosse Leben
Universal Music (D 2006)
Bislang führten Rosenstolz ein Schattendasein in der Ecke, wo sich Feministinnen, Schwule und Chanson-Fans treffen. Nun kommen sie ans Licht - und unter Manfred Preschers Augen. 06.03.2006
Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.
Man stelle sich vor: Arnold Schwarzenegger, Tobias Moretti, Gerhard Roth, Armin Assinger, Richard Dorfmeister und Renate Götschl stehen auf Geheiß des Herausgebers der "Kronen-Zeitung" vor der Kamera und skandieren Sätze wie "Du bist die Hand", "Du bist der Baum" oder "Du bist der Popo" ins Mikrofon, bevor sie - optimistisch lächelnd - mit den drei Worten "Du bist Österreich!" an das Selbstvertrauen der Nation appellieren.
Das ist so sinnfrei, daß kein Mensch auf so eine merkwürdige Idee kommen würde? Die Herrschaften der Werbeagentur Jung von Matt sahen das anders. Im Auftrag von Bertelsmann schoben sie Werbespots in Höhe von angeblich 30 Millionen Euro durch die einstmals blühende Bundesrepublik und ließen Maria Furtwängler, Gerald Asamoah, Marcel Reich-Ranicki, Günther Jauch, Harald Schmidt oder Kool Savas "Du bist Deutschland!" rufen. Schließlich will man zum einen dieses Jahr Fußballweltmeister werden, und zum anderen soll es mit Deutschland dermaßen aufwärts gehen, daß dem Rest von Europa mal wieder Hören und Sehen vergeht. Daß man sich bei Jung von Matt - so wird es zumindest kolportiert - bei der Kampagne an der NSDAP orientierte, mag böswillige Unterstellung sein. Dennoch gibt´s eine Auffälligkeit: Die Nazis nutzten die Parole "Du bist Deutschland", um den nach Mozart berühmtesten aller Österreicher zu ehren. Dessen 1000jähriger Aufschwung ging zwar nach nur zwölf Jahren so in die Hose, daß damals niemand freiwillig Deutscher sein wollte - aber als Werbetreibender muß man nicht kleinlich sein.
Ich habe es ja weiter oben bereits angesprochen: Wer hat sich nicht alles an der Kampagne beteiligt? Das heilige Xaverl, der Böse-Nacht-Onkel Uli Wickert, die Vorsitzende der Kommission zur Einhaltung des Fünfjahresplans im Pirouettendrehen, Kati Witt, Sarah "Einigkeit und Recht und Freibier" Connor - nur Rosenstolz fehlten. Ausgerechnet. Es kann doch nicht sein, daß einzig und allein Patrick Lindner das homosexuelle Deutschland darstellt, oder? Anscheinend hat man Peter Plate, besser bekannt als der "Typ von Rosenstolz", einfach vergessen. Wie konnte denn das passieren? Plate ist in Neu-Delhi geboren, seine Partnerin AnNa R. in Berlin-Friedrichshain; die beiden brächten also nebenbei sowohl die Exotik des nahen wie des fernen Ostens mit in die Kampagne. Aber nix da - das dynamische Duo, das zu den Konzerten in der Berliner Wuhlheide mehr Volk anlockt als (OK, die Reichsparteitage verkneif´ ich mir jetzt), also: als für gewöhnlich zum Christopher Street Day kommen, blieb außen vor.
Man mußte also selber zur Tat schreiten. Das Ergebnis ist die aktuelle Single - und in der wird gefragt, ob man denn nicht auch Deutschland ist: "Gehör ich denn dazu? Oder bin ich längst schon draußen?" Wahrscheinlich nicht, die Deutschen sind die anderen. Und das treibt den beiden stolzen Berlinern die Rosenröte des Zorns ins Gesicht: "In meinem Kopf ist soviel Wut/Gestern nacht konnt´ ich nicht schlafen". Das Hin- und Hergewälze auf dem naßgeschwitzten Laken hat natürlich nichts genützt, man darf immer noch nicht mitspielen. Also zieht man sich trotzig in den Berliner Schmollwinkel zurück: "Ich bin jetzt, ich bin hier, ich bin ich". Oder: Ist mir doch egal, ob ich dabei bin. Nach dem Trotz kommt das Selbstmitleid: "Ich bin ich/Das allein ist meine Schuld". Und weil man zu zweit ist, heißt es dann noch "Wir sind jetzt, wir sind hier/Das ist allein unsere Schuld/Wir sind jetzt, wir sind hier, wir sind wir".
Mittlerweile steht die Rosenstolz-Single auf den Playlists der Dudelfunk-Anstalten ganz oben, und man kann dem Song genauso schwer entgehen wie der perfiden, erst vor kurzem in den Archiven von RTL, ARD oder ZDF ("Mit dem Zweiten vergißt man besser") verschwundenen Nationalstolz-Aktion der Hamburger Werbeprofis. Die doppelte Omnipräsenz und die zeitliche Nähe ergeben eine Verbindung von Reklame und Popmusik. Dabei ist "Ich bin ich (Wir sind wir)" nur das übliche, langweilige Liebeslied, das Rosenstolz Jahr für Jahr auf Platte bannen: "Denn ich würde nur bereun/Hätt´ ich mich an dir verbogen/War bestimmt nicht immer treu/Doch ich hab´ dich nie betrogen". Mit diesen eignen sich AnNA R. und Peter Plate auf jeden Fall für die Kampagne, an der ich grad arbeite: Neben Rosenstolz sollen unter anderem Rammstein, De Randfichten und Stefan Raab "Ich bin KEIN Dichter" skandieren.
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
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