Stories_Silentium
Jeder hat sein Kreuz zu tragen
Die zweite Kinoadaption eines "Brenner"-Romans ist düster, bedrückend und manchmal komisch - ihre Mängel fallen wohl nur Österreichern sofort auf. Ein Bayer fragt sich, warum das so ist.
18.11.2005
Man muß räumlich und vom Dialekt her nahe an Österreich sein, um Filme wie "Indien", "Hinterholz 8", "Komm, süßer Tod" oder auch "Silentium" mögen zu können. Jenseits des Weißwurschtäquators, der sich völkerwanderungsbedingt etwas oberhalb des Mains befindet, hat man wenig Verständnis dafür - und das auch noch im doppelten Sinn: Man versteht die Sprache nicht, die Hauptdarsteller könnten auch finnisch oder koreanisch reden.
Aber auch die Art zu denken, das - ich würde mal salopp sagen - leicht Verquere, kann der Norddeutsche nicht nachvollziehen. Das ging ihm auch schon mit "Kottan" oder "Ein echter Wiener" so. Bei "Silentium" kommt noch hinzu, daß man, will man den Film wirklich komplett erfassen, in einer erzkatholischen oder zumindest extrem bigotten Gegend aufgewachsen sein muß. Da das für die meisten Bayern gilt, können sie an den Ränkespielen um sexuellen Mißbrauch hinter Klostermauern, Doppelmoral, um die perversen Verquickungen von Klerus und weltlichen Machtbereichen eine gerade zu diebische Freude empfinden.
Aber warum sehen das viele aufgeweckte Zeitgenossen im kleinen, kotelettförmigen Nachbarland anders? Warum sind sie so gespalten, was österreichische Filme angeht? Weil der Prophet im eigenen Land nix gilt? Schon möglich. Die Äußerung eines österreichischen Kollegen über die österreichischen Filmemacher hat mir jedenfalls zu denken gegeben: "Entweder machen sie Sozialpornos oder sie nehmen Kabarettisten." Bei den genannten vier Filmen, die in Bayern alle erfolgreich in den Kinos liefen, werden diese Elemente zudem noch verbunden - es sind "Sozialpornos mit Kabarettisten".
Für "Silentium" gilt das besonders, denn Hauptdarsteller und hauptberuflicher Kleinkunst-Zyniker Josef Hader spielt einen überaus abgerissenen Brenner, der am Ende ist und in übelsten Absteigen wohnt. Da der Brenner von Haus aus, auch schon in den Haas-Büchern, kein Polizist mehr sein darf, also durch das Leben schlingert und schlurft, ist er als Typ eine Mischung aus Columbo und Penner. Aber in "Silentium" überwiegt - auch "fallbedingt" - das Sandler-Element im Brenner deutlich, und der Zuschauer taucht in Milieus ein, die er nicht automatisch dem sauberen Salzburg zuordnen würde.
Das liegt auch an der typischen Färbung der Filme selbst: Alle vier österreichischen Leinwanderfolge kommen mit einem fast 70er-Jahre-mäßigen Braunton daher, sind meist entschieden zu dunkel. Für "Silentium" gilt das noch mehr. Man hat das Gefühl, daß sich Salzburg irgendwo in der Nähe von Bitterfeld befindet oder eine Trabantenstadt von Titos Belgrad ist. Solche Farbgebung hatte das europäische Autorenkino vor etwa 30 Jahren mal als Standard, mittlerweile sind nur wenige Filme so wenig "bunt". Mir fällt spontan eigentlich nur das Jugenddrama "Ken Park" von Edward Lachman und Larry Clark ein. Was aber zu den pittoresken niederösterreichischen Fördertürmen in "Indien" oder nach Hütteldorf paßt, wirkt beim barocken Salzburg oft ungeschickt ausgewählt.
Dazu kommt der Hang, manche Kameraeinstellung nach Super-8-Amateurfilm aussehen zu lassen. Es scheint so, als würde in Hollywood die Steadicam bewußter eingesetzt. In guten Momenten wirkt "Silentium" dann allerdings so bedrückend wie
"Allein gegen die Mafia" oder andere realistische Kino- oder TV-Höhepunkte.
Wer die gedruckte Vorlage nicht kennt, hat außerdem das Problem, den unterschiedlichen Handlungssträngen, also dem Wühlen in der Vergangenheit des Bischofskandidaten, einem erhängten Landstreicher, dem korrupten Festspielsumpf, den Leichen, die sich auf der Festspielbühne die Ehre geben, dem gewerbsmäßigen Verkauf von Frauen aus dem Fernen Osten als kirchliches Unternehmen, der Kupplerei oder den Fällen von Kindesmißbrauch in den geweihten Räumen nicht folgen zu können - und bekommt damit auch die Anspielungen, etwa auf den Skandal um den ehemaligen Wiener Erzbischof Hans Hermann Groer, nicht in voller Härte mit. Das liegt daran, daß Regisseur und Drehbuchautor Wolfgang Murnberger die vielen Stränge nicht immer mit der bei Haas durchgehend logischen Stringenz verknüpft.
Dafür hat der Film ungeheuer wuchtige, komische Elemente zu bieten: So wird im Zuge einer Restaurierung ein Jesus ans Kreuz genagelt, besser mit der Hilti hingeschraubt, und Brenner muß ein riesiges Holzkreuz in den Keller tragen, schultert es also wie weiland Jesus und trägt schwer unter der Last. Dabei muß er nicht nach Golgatha hinauf, sondern in den Keller hinunter. Schließlich bricht er wie ein zivilisationsmäßiger Christus zusammen, aber es ist keiner da, der das Kreuz an Brenners Stelle tragen will - und er fällt die steilen Stiegen hinunter, wird dabei beinahe vom heiligen Symbol erschlagen. Das hat was, das ist wirklich groß. Und wir erfahren, daß "Silentium" die lateinische Übersetzung von "Halt´s Maul!" ist. Auch die fast finale Szene, in der der Detektiv beinahe mittels der immer heißer werdenden Dusche des Klosterinternats umgebracht wird, ist wirklich gelungen, sie schlägt die auch schon drastische Schilderung des Vorgangs in der Haas-Variante um Längen.
Diese positiven Elemente sind es, für die viele Bayern "Silentium" lieben. Über die anderen Dinge wie handwerkliche Mängel oder Ostblock-Farbe können wir locker hinwegsehen, denn der Film ist trotzdem besser als das meiste, was deutsche Regisseure in den letzten 30 Jahren hervorgebracht haben. Aber der Prophet ...
Manfred Prescher
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