Video_Wonderland
Johnny through the looking glass
Nicht nur die kleine Alice trieb es bunt im Wunderland - auch Pornolegende John Holmes bleibt damit auf ewig verbunden. Paramount veröffentlichte jetzt John Coxs Film über den Fall.
10.11.2005
Die wohl berüchtigtste Abschlachterei der Popkultur waren sicher die Sharon-Tate-Morde durch die Manson-Clique. Ganz ohne sektierende Massenmorde und Roman Polanskis Ehefrau, dafür aber mit einer ordentlichen Prise Sex, Drugs und nochmal Drugs sowie dem ersten Star des Porno-Biz mußten 1981 die Wonderland-Morde auskommen: In der Wonderland Avenue Nr. 8763, Laurel Canyon, Los Angeles wurden am 1. Juli vier Kleinkriminelle - die Wonderland-Gang - im Schlaf mit einem Stahlrohr zu Tode geprügelt. Zuvor hatten die Herren den Drogenhändler und Nachtclub-Besitzer Eddie Nash bei einem Raubüberfall um einen Haufen Heroin, Kokain, Juwelen und natürlich Kohle erleichtert.
In beiden Fällen hieß die Schlüsselfigur John Holmes. Der Darsteller, der durch sein überdimensioniertes Gemächt und die "Johny Wadd"-Filme als erster Superstar in die Annalen der Pornogeschichte eingegangen war, befand sich zu dieser Zeit längst auf dem absteigenden Ast und kokste sich durch die Weltgeschichte, sofern er nicht gerade kleinere Straftaten beging oder mit seiner minderjährigen Freundin um die Häuser zog.
Das Manson-Kapitel animierte zahlreiche Exploitation-Filmemacher zu Schandtaten unterschiedlichen Kalibers; um die goldene Zeit der Pornoindustrie, deren Untergang und Herrn Holmes kümmerte sich hingegen Jungmeister Paul Thomas Anderson, der mit "Boogie Nights" ein wunderbares Liebesbekenntnis ablegte.
Regisseur James Cox konzentrierte sich in seinem Werk lieber auf das Wesentliche - und arbeitet die Zeitspanne um die Wonderland-Morde in "Rashomon"-Manier auf, eingebettet in einen durchgehenden, wenngleich zuweilen leicht verschachtelten Erzählstrang.
Auf Porno, Glamour und Co. wird dabei gänzlich verzichtet. Stattdessen gibt es in trübes Licht getauchtes Elend mit stellenweise dokumentarischem Flair, dem man sich nicht entziehen kann und will. Faszinierend auch das Casting: Val Kilmer gibt den versifften Holmes, Kate Bosworth die jugendliche Bonnie-Variation, die von ihrem Anti-Clyde nicht loskommt, "Friends"-Phoebe die Ex, Eric Bogosian glänzt als Eddie Nash, und sogar Christina Applegate und Prinzessin Leia sind in kleinen Nebenrollen zu sehen. Auch die restliche Besetzung paßt perfekt zu diesem Stoff.
Auf der ersten "Wonderland" DVD gibt es neben einem netten, aber etwas zu verplauderten Audiokommentar unter anderem das Original-LAPD-Crime-Scene-Video, den Autopsiebericht, ein "Court TV"-Special und Deleted Scenes.
Was diese Veröffentlichung jedoch - unabhängig vom Film - besonders macht, ist die zusätzliche Bonus-Disc. Darauf findet sich nämlich Wesley Amersons exzellente Dokumentation "Wadd: The Life and Times of John C. Holmes" aus dem Jahre 1998, in der Amerson das Leben der XXX-Legende nachzeichnet (damit auch verbunden den damaligen Rise and Fall of Porn), und anhand zahlreicher Interviews das Porträt eines äußerst zwiespältigen Charakters entwirft: für die einen ein liebenswürdiger, zuvorkommender Mensch, für die anderen ein rücksichtsloser Soziopath.
Holmes´ Zerrissenheit spiegelt sich auch in Coxs "Wonderland" wider - weiß man doch bis zum Schluß des Films nicht (sofern man nicht mit den Umständen der echten Wonderland-Morde vertraut ist), welcher Tathergangsschilderung man Glauben schenken soll: der des Riesenschwanzträgers oder der von Bad Boy David Lind (Dylan McDermott).
Jürgen Fichtinger
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