Musik_Boards of Canada - The Campfire Headphase

Pentatonik und Redundanz

Mike Sandison und Marcus Eoin erkunden einmal mehr ihr selbstgeschaffenes Universum. Und kratzen dabei mitunter deutlich hörbar am Rande des Selbstplagiats.    27.10.2005

Mit größter Spannung wurde "The Campfire Headphase" von den internationalen Elektronik-Fans und -Kritikern erwartet. Daß eine übersteigerte Erwartungshaltung nur allzu leicht in Frustration enden kann, ist bekannt. Doch Obacht: Wer sich Boards of Canadas neuestes Werk nur oberflächlich anhört, verpaßt die versteckten Hinweise, die zeigen, in welche Richtung sich das schottische Duo weiterentwickeln wird.

Da wäre zunächst einmal die Gitarre. Wie gut akustische Gitarre und rekonstruierte 70er-Jahre-Elektronik zusammenpassen, wissen wir nicht erst seit unzähligen Morr- und Vertical-Form-Releases. Allerdings sind BOC etwas spät auf diesen Zug aufgesprungen. "Cromakey Dreamcoat" wartet zum Beispiel gleich zu Beginn mit einem etwas harschen, gefilterten Gitarrenloop auf - für die Boards etwas völlig Neues. Selbstverständlich ist hier nicht von einer kunstvoll gespielten 12-String die Rede, eher von einer durch ein altes Küchenradio gequetschten, simplen Kindergitarre mit elektrischem Abnehmer; vielleicht ein Relikt des großen Bruders, gefunden am Dachboden.

Ansonsten bieten die 15 Songs nur wenige Neuigkeiten. BOC tummeln sich in ihrem geometrisch angelegten Gemüsegarten und spielen mit dem vielfach auf früheren Covern abgebildeten Kaleidoskop. Doch ein Kaleidoskop ist auch ein hermetischer Raum, ebenso wie die pentatonische Kompostionsweise der meisten Stücke. Bei dieser besteht eine Oktave nicht aus acht, sondern aus fünf Tönen. Man stelle sich vor, nur die schwarzen Tasten eines Klaviers zu spielen - im Fingerumdrehen hat man Aphexsche Tonleitern. Egal, wie man nun variiert, aufwärts oder abwärts, Synkopen setzt und transponiert (ein beliebter Trick) - das harmonische Herumjonglieren strebt nie einer Auflösung zu, die Tonfolgen kreisen fragend um sich selbst; im Gegensatz zum klassischen Blues-Schema, das etwa im Metal oder Pop am verbreitetsten ist.

Pentatonik findet man meist in Ambient-, Elektronik- und Avantgarde-Musik. Wer nun also auf "The Campfire Headphase" auf neue Melodiefolgen hofft, wartet vergebens. Stellenweise klingt BOCs neues Album so, als wäre es vor "Geogaddi" (2002) entstanden, irgendwo zwischen "Music Has The Right To Children" und "A Beautiful Place Out In The Country". War "Geogaddi" der experimentelle Versuch, in audiophile Gefilde vorzudringen, befinden wir uns nun auf der entgegengesetzten Seite des

Kaleidoskops. Kein schlechter Trick, bloß die kompositorische Redundanz macht er nicht wett. Auch die Rhythmen sind uns sehr vertraut. Was nicht verwundert, denn BOC widmen sich wie die meisten ihrer Kollegen (etwa Hermann & Kleine, Arovane etc.) allzugern HipHop-Mediationen. Und gerade bei diesen eckigen 4/4-Beats ist die Variationsbreite begrenzt.

So wird man angesichts der wunderschönen typischen Boards-Sounds aus singenden Synthies, schwebenden Layern und vielfach gefiltertem White Noise das Gefühl nicht los, daß sich Sandison und Eoin hier erstmals selbst im Weg stehen. Das tut dem Hörvergnügen freilich keinen Abbruch. Man darf allerdings gespannt sein, ob es ihnen gelingen wird, erfolgreich ins Post-Folk- oder LoFi-Lager zu wechseln, denn dort treffen sie auf teilweise alteingesessene Künstler ganz anderer Prägung. Ob sie sich wirklich mit Kapazundern wie Mark Nelson (Pan American), Mark Mitchell (Clue to Kalo) oder Stephen Wilkinson (Bibio) messen können, bleibt abzuwarten.

Ernst Meyer

Boards of Canada - The Campfire Headphase

ØØØ 1/2


Warp/edel (GB 2005)

 

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