Stories_Viennale 05: Match Point

Die Hölle des Hochschläfers

Diesmal aber wirklich: Woody Allen in Hochform. Was so ein Klimawechsel alles ausmachen kann. Was London so alles auslösen kann ... Oder war's Scarlett Johansson?    17.10.2005

Angekündigte Überraschungen finden ja bekanntlich eher selten statt. Wenn es sich bei besagten Verheißungen dann gar um neue Woody-Allen-Filme handelt, die angeblich den Woody-Allen-Film a) komplett neu erfunden oder b) zu lang nicht mehr gesehener Hochform zurückgeführt haben sollen, finden sie sogar unter Garantie nie statt. "Hollywood Ending", "Melinda und Melinda", "Deconstructing Harry" oder "Anything Else": allesamt als filmische Renaissance des bekanntesten Großstadtneurotikers gefeiert, aber dann doch wieder nur Schema-F-Komödchen ohne Originalität und Widerhaken.

Dementsprechend kritisch mußte man auch "Match Point" gegenüberstehen, gerade wegen der Vorschusslorbeeren, die ihm vor einigen Monaten schon mal aus Cannes vorausgeschickt wurden. Und dann ist Allens 40. Langspielfilm auch noch gleich Eröffnungsstreifen der diesjährigen Viennale. Skepsis ist angesagt.

Die sich aber schneller verflüchtigt, als man zum Beispiel

"Sommernachts-Sexkomödie" sagen kann.

Denn "Match Point" ist nicht bloß ein gelungener, sondern sogar ein richtig hervorragender Film geworden. Worin dieser unerwartete Aufstieg aus der kreativen Asche begründet liegt, darüber kann wohl nur gerätselt werden. Einig ist man sich nur in einem Punkt: Die Verlegung des Drehortes von New York nach Großbritannien wird kein Nachteil gewesen sein.

 

Denn genau dort spielt "Match Point": in London, genauer gesagt in der Londoner Upperclass. Dorthin verschlägt es einen leidlich erfolgreichen, aber feschen Tennisprofi (Jonathan Rhys-Meyers), der beschließt, sich von nun an als Tennislehrer für die Schönen und Reichen zu verdingen - und auch prompt in einem Nobel-Club eingestellt wird. Es dauert nicht lange, bis er sich mit einer Kundin, der Tochter (Emily Mortimer) eines schwerreichen Firmenmagnaten verbandelt, die ihm auch gleich Zugang zum Imperium ihres Vaters verschafft. Liebe, Job und Macht: alles liefe also perfekt für den hochgeschlafenen Underdog - wenn, ja, wenn er sich nicht hoffnungslos in die Verlobte seines Schwagers (schlichtweg eine Erscheinung: Scarlett Johansson) verschaut hätte. Es kommt, wie's kommen muß: Kurze Zeit später haben die beiden auch schon eine leidenschaftliche Affäre mit Mittagspausen-Quickies und allem was dazugehört. Bis die Geliebte eines Tages schwanger wird und eine Entscheidung verlangt ...

Daß diese dann ganz anders ausfällt als man erwarten würde, ist nur eine der vielen Überraschungen dieses Films. Die größte ist freilich die bitterböse Art, mit der Allen seinen Film umgesetzt hat. Hier ist kein Gramm schlaumeiernde Weltbetrachtung zuviel dran, kein überflüssiger Insider-Joke stört die Handlung, die sich ohne faule Kompromisse von einer formidabel beobachteten Gesellschaftsfarce zu einem eiskalten Thriller emporsteigert. Und selbst auf das übliche Gerede über Sex hat Allen diesmal verzichtet - und stattdessen gleich wirklich ein paar verschwitzte Fickszenen eingebaut. Wenn man's nicht wüßte - man würde hinter "Match Point" wohl kaum einen Woody-Allen-Film vermuten (take this as a compliment ...). Er hat uns also doch noch einmal um den Finger gewickelt. Und das hat man von dem alten Neurosenzüchter nun wirklich nicht mehr erwartet. Angekündigte Überraschung hin oder her.

Christoph Prenner

Match Point


USA 2005

124 Min.

OmdU

Regie: Woody Allen

Darsteller: Jonathan Rhys-Meyers, Scarlett Johansson, Emily Mortimer u. a.

 

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