Stories_60 Jahre Fat Man & Little Boy I

... denn sie wußten, was sie tun

Der Nebel des Schweigens hebt sich: Zum Jahrestag des Atombombenabwurfs über Hiroshima und Nagasaki erscheinen zwei neue Bücher, ein Bildband und eine flache BBC-Doku.    05.08.2005

6. August 1945, 08.15.: Die USA werfen über der japanischen Stadt Hiroshima die erste Atombombe der Menschheitsgeschichte ab. 100.000 sterben sofort, 50.000-200.000 an den langjährigen Folgen der Verstrahlung. Leukämie, Brustkrebs, Nervenleiden. Soweit die blanken Fakten. Bis in die 90er Jahre hinein konnte man nicht sicher sein, ob die Amerikaner wirklich wußten, was sie taten. Mythen rankten sich um die Besatzung der B-29, der Enola Gay, mit der die Bombe "Little Boy" zum primären Abwurfsziel transportiert wurde. Sie wurden als Helden gefeiert, dem Piloten Tibbets, der die Bombe ausklinkte, fehlt bis heute jede Schuldeinsicht. Er habe ja nur einen Befehl ausgeführt. Es gilt heute als erwiesen, daß die Crew nicht informiert war, eine Atomwaffe an Bord gehabt zu haben, überhaupt erwähnte keiner der vorgesetzten Militärs je das Wort "Atom" um die Soldaten nicht unnötig zu verunsichern.

Die eigentlichen Drahtzieher, der US-Kongreß und die Wissenschafter in den grauen Mänteln, blieben in der Berichterstattung bisher stets im Hintergrund. Und doch war es das Team um Robert Oppenheimer, das die Super-Waffe gezielt entwickelte. Ein Großteil seiner Kollegen, wie Edvard Teller, Leo Szilard oder Eugene Wigner waren vor den Nazis nach Amerika geflohen und drängten Präsident Roosevelt 1939 geradezu, mit dem Bau der Atomwaffe nicht solange zu warten, bis die Nazis sie womöglich vorher fertig hätten. Werner Heisenberg und seine Truppe, die in Deutschland geblieben waren, standen zu diesem Zeitpunkt freilich meilenweit von der Bombe entfernt und schafften es auch nicht bis Kriegsende eine deutsche Atombombe zu bauen.

Der Rest ist allgemein bekannt. Unter dem Codenamen "Manhattan-Project" bastelten die US-Forscher in der Wüste von Neumexiko an der neuen Superwaffe, über 2 Milliarden Dollar wurden in die Entwicklung gesteckt, eine damals astronomische Summe. Bis zuletzt wußten die Forscher nicht, wo genau die Bombe eingesetzt werden sollte. Als Primärziel war das Dritte Reich in Frage gekommen, doch Deutschland kapitulierte, bevor die A-Bombe fertig war.

 

Das Ende des Zweiten Weltkriegs war gleichzeitig der Beginn einer neuer Ära. Das Atomzeitalter hatte begonnen. Und mit ihm auch der kalte Krieg. Von da an war der Atom-Bombenabwurf ein totales Tabu, an Vergangenheitsbewältigung war nicht zu denken. Zu groß war die Scham auf japanischer Seite und die Furcht vor einer möglichen Wiederholung.

Der gerade neu aufgelegte Bildband Rain of Ruin von Donald M. Goldstein, der seinen Titel aus dem berühmten Zitat Präsident Trumans bezieht, zeigt alle Bilder, die notwendig sind, um den geschichtlichen Ablauf von der Planung bis zum Abwurf zu erfassen. Nebst den berühmten Explosionsbildern finden sich Fotos der Forscher, der Militärs, der machthabenden Politiker beider Seiten und nicht zuletzt der Besatzung der "Enola Gay". Doch auch die Opfer sind zu sehen. Die Verbrennungen, die verkohlten Extremitäten, immer wieder die schaurige Silhouette von Hiroshima: Wie ausgeschlagene Zähne zeigen die Ruinen in den schwarzen Himmel. Hier wird weder beschönigt noch kritisiert, statt dessen gibt es eine umfassende Bestandsaufnahme, nicht mehr und nicht weniger. Sehr solide und eine ideale Einführung in den Themenkreis.

Stephen Walkers Hiroshima - Countdown zur Katastrophe schildert unter Zuhilfenahme neuester Archivfotos, Augenzeugenberichten und Interviews das grauenvolle Szenario vor und nach dem Abwurf. Anders als durch die präzise Zeichnung von Einzelschicksalen läßt sich das Unfassbare nicht fassbar machen.

Selbiges gilt auch für Florian Coulmas Hiroshima: Der Autor schildert sämtliche Hintergründe und Mythen der verheerenden Katastrophe. Er verweist auf das moralische Dilemma, das mit dem Einsatz dieser Waffe verbunden war und zeigt, wie die Zensur der Amerikaner nach dem Krieg dazu führte, daß an die Geschichte von Hiroshima bis auf den heutigen Tag nur sehr einseitig erinnert wird.

Problematisch dagegen erscheinen die neueren "Reportage-artigen" Fernseh-Dokumentationen, angesiedelt irgendwo zwischen Legitimationsversuch, Heroisierung und Verharmlosung. Immer wieder wird die "großartige" wissenschaftliche Leistung der Forscher in den Vordergrund gerückt, mit Nachdruck auf die Notwendigkeit des Abwurfs hingewiesen. Opfer gäbe es ja immer in Kriegszeiten, Soldaten wie Zivilisten. Die an der Oberfläche kratzende BBC/ARD Spielfilm-Dokumentation "Hiroshima" (2005) subsummiert die hölzernen Legitimationsversuche der USA. Der A-Bombenabwurf habe hunderttausenden Soldaten auf beiden Seiten das Leben gerettet, heißt es da etwa. Hätten die Amis die Bombe nicht abgeworfen, hätte es bei einer bevorstehenden Invasion dramatische Verluste gegeben. Wahr ist vielmehr, daß die amerikanischen Bomber Hiroshima absichtlich verschont hatten, um die Auswirkungen der Atombombe auf eine intakte Stadt besser analysieren zu können. Eine makabre Versuchsanordnung - mit lebenden Menschen. Auch das dürftige Argument der "Bombe für den Frieden" kommt zur Sprache, das vielleicht absurdeste aller Argumente. Mit Waffen läßt sich kein Frieden erzwingen, siehe den aktuellen Fehlschlag der Amerikaner im Irak.

 

Lesen Sie auch Teil 2 im EVOLVER: Von Desinformation zur Aufklärung - das amerikanische Gewissen erwacht.

Ernst Meyer

Donald M. Goldstein - Rain of Ruin


(Potomac, USA 2005)

 

Links:

Stephen Walker - Hiroshima - Countdown zur Katastrophe


(Bertelsmann, D 2005)

 

Links:

Florian Coulmas - Hiroshima


(Beck, D 2005)

 

Links:

Die Bombe im Netz


"Tale of two cities"

Unverzichtbar: US-Propagandafilm aus dem Jahr 1946! Grotesk. Unbedingt ansehen.

 

"Nuclear Files"

Umfassende Site mit der gesamten Geschichte der Atomwaffen

 

"Atomic Central"

Hervorragende Page mit allen wichtigen Infos und aktuellen Updates

 

"Record of A-Bomb disaster"

Virtuelles Museum mit Archivaufnahmen der zerstörten Städte und verwundeten Menschen. Brutal!

 

"Seattle Times Trinity Web"

Reichhaltige aber proamerikanische Page mit sämtlichen Atombombentests, Infos zu Verstrahlung etc.

 

"Atomicwaffen A-Z"

Für Studenten und Schüler, aufbereitet von der deutschen Friedenskooperaitve

 

Infos über Radioaktivität

Für alle, die sich für die Technik interessieren

 

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