Stories_Der Machtlose I
Shock and Awe
"Star Wars"-Chef George Lucas wendete Millionen auf, um sein Lebenswerk zu schänden - und avancierte so zum größten Legendentöter der Filmgeschichte. Dietmar Wohlfart berichet.
25.04.2005
Mai 1999: Das Memorial-Day-Wochenende naht, Hollywood steht Kopf. Die Stimmung in der amerikanischen Entertainment-Metropole gleicht einer Kombination aus Nostalgie und Hysterie, Sehnsucht nach Vergangenem und unerfüllbaren Erwartungen. Als wenige Monate zuvor der Premierentag für die Rückkehr der Sternensaga fixiert wurde, brachten die Konkurrenzstudios, die den triumphalen Siegeszug der Originaltrilogie noch bestens in Erinnerung hatten, ihr Sommerangebot vor dem herannahenden Riesen in Sicherheit und verlegten in einer panikartigen Reaktion die Starttermine der kollisionsgefährdeten Eigenproduktionen nach hinten. Kurz vor der Uraufführung brach das Phänomen dann aus dem Unterhaltungssektor aus und okkupierte Raum auf den Titelblättern der Weltpresse. So wurde der irrtümliche Beschuß der chinesischen Botschaft durch die Amerikaner während des Jugoslawien-Bombardements - ein militärischer wie politischer Querschläger erster Güte - von der bevorstehenden Premiere des Sci-Fi-Epos "The Phantom Menace" mühelos als Headline verdrängt. Fans im Jedi-Outfit sorgten für endlose Warteschlangen vor den Lichtspielhäusern, eine gewaltige Merchandising-Lawine überzog den Globus. Hier erwachte Filmhistorie zum Leben, schien die Massenhysterie längst vergangener Tage von neuem zu entfachen. Eine moderne Legende bahnte sich ihren Weg in das kollektive Bewußtsein der Gesellschaft zurück.
Dem Hype folgte erst die Rückkehr in eine unerfreuliche Wirklichkeit und anschließend das unvermeidliche Trauma. Als die Katastrophe ihren Lauf nahm, bereuten vor allem die Anhänger der Urtrilogie ihren nostalgisch-verklärten Blick auf das, was da zum "Kinoereignis des Jahrhunderts" hochstylisiert wurde, zutiefst. Dabei waren die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Rückkehr des Giganten recht vielversprechend gewesen: George Lucas, der eiserne Traditionalist, hatte einen guten Teil seiner alten Mitstreiter reaktiviert und sich angeschickt, den Sci-Fi-Klassiker mit Hilfe einer gutklassigen Darstellerriege und den leistungsstarken Computerprozessoren seiner Effektschmiede ILM um ein frisches, strahlendes Kapitel zu erweitern. Im ausgehenden zwanzigsten Jahrhundert hatte die Filmtechnologie letzten Endes ein Niveau erreicht, mit dem sich auch der Technikfetischist Lucas arrangieren konnte.
Als Anfang Mai seitens der Fachpresse die ersten schweren Angriffe auf den neuen "Krieg der Sterne" niedergingen, horchte die Filmwelt auf; hatte doch Lucas-Kumpel Steven Spielberg dem Werk bereits Wochen vor den ersten Pressevorführungen herausragende Qualitäten bescheinigt. Ein reiner Freundschaftsdienst, wie sich herausstellen sollte. Die 115 Millionen teure Schandtat, die Digital-Papst George Lucas im Sommer 1999 auf die Filmwelt losließ, war zweifelsohne ein technisches Bravourstück. Aber auch ein hohles Schauspiel: bloße audiovisuelle Stimulans ohne emotionalen Kern, Bilder und Klänge weitgehend vertraut - John Williams' Bombast-Score unterlegte die fremdartig-vertrauten Märchenwelten durchwegs adäquat. Die perfekt choreographierten Laserschwertduelle und hektischen Weltraumschlachten verstärkten den einhergehenden Nostalgieeffekt. Doch den Todesstoß versetzte Lucas seiner "Dunklen Bedrohung" in Form einer unerträglichen Script-Heimsuchung. So waren die Kinderjahre des Anakin Skywalker vor allem reich an peinlichen Momenten und absurden Logikbrüchen. Begabte Darsteller sahen sich mit der unlösbaren Aufgabe konfrontiert, die unfaßbar schlecht formulierten Dialogfetzen des Regisseurs in ihr Spiel zu integrieren. Eine unlogische Story, stupide Dialoge und in alles verschlingende Bluescreen-Hintergründe eingescannte, hölzern agierende Schauspieler verschmolzen zu einer Parodie auf die berühmteste aller Filmserien des modernen Unterhaltungskinos. Ganz nebenbei fabrizierte Lucas etwas, das im populären Star-Wars-Universum bisher gänzlich unbekannt war: einen Anti-Charakter, dem die Ablehnung des Kinopublikums in hohen Wogen entgegenschlug. Die computergenerierte Mißgeburt Jar Jar Binks avancierte quasi in Lichtgeschwindigkeit zum verhaßten Blitzableiter der enttäuschten Massen und sollte folglich zur (fast) übersehbaren Randfigur zusammengestutzt werden.
Realitätsverlust mit Folgen
Isoliert von der Außenwelt und scheinbar umgeben von einer Legion von Ja-Sagern haust der introvertierte George Lucas - jener sture Eigenbrötler, der einst Hollywood den Rücken kehrte und mit der totalen Konzentration auf die Weiterentwicklung der tricktechnischen Möglichkeiten ein Vermögen erwirtschaftete - auf seiner abgelegenen "Skywalker Ranch", einem imposanten Herrenhaus in Marin County, Kalifornien. Die hier beheimateten Lucas-Kompanien
"Lucasfilm", "Industrial Light & Magic", "Skywalker Sound" sowie die preisgekrönte Computer- und Videospieleschmiede "Lucas Arts" galten jahrelang als Kreativabteilungen der Premiumklasse. Der Name "Lucasfilm" stand für die Verwirklichung cineastischer Träume, für den abenteuerlichen Aufbruch in exotische Länder und fremde Galaxien und fungierte insbesondere als Geburtsstätte für moderne Leinwandikonen. Doch jener sagenumwobene Ort wurde schlagartig einen Teil seines früheren Glanzes beraubt. Denn der Schöpfer verließ seine Festung und machte sich daran, den von ihm kreierten Mythos - mit einer fast schon beängstigenden Effizienz - in Schutt und Asche zu legen.
Technisch versiert, mit Überblick und unzweifelhaft auch einer erheblichen Portion Beharrlichkeit ausgestattet, behält Lucas stets das Kommando, bleibt der schweigsame Autokrat zu jeder Zeit der unumstrittene Feldherr seiner geheimnisumwitterten Großproduktionen. Doch sobald er versucht, seine Utopien zu Papier zu bringen, dem phantasievollen Gedankengut ein Fundament, eine erzählerische Struktur zu verpassen, gerät Lucas ins Wanken: George Lucas - Multimillionär, passionierter Technikfreak und Spielzeugmogul - ist kein Drehbuchautor. Das Schreiben war für Lucas schon immer eine Qual, seine Leidenschaft galt seit jeher der Bildmontage und dem Streben nach trick- und soundtechnischer Vollkommenheit. Vor diesem Hintergrund erschien die ursprüngliche Absicht, Frank Darabont, Autor und Regisseur von "Die Verurteilten" (und später "The Green Mile") als Drehbuchschreiber für "Episode I" zu engagieren, als weiser Zug. Doch die Kollaboration kam nicht zustande und so beging der einstige Mythenbauer den vielleicht schwerwiegendsten (und letztendlich für die gesamte Prequel-Trilogie verhängnisvollen) Fehler seiner Karriere und verfaßte das Script kurzerhand selbst.
George Lucas, ein überschätzter Möchtegern-Spielberg? Ein Magier, der seine Zauberkraft längst eingebüßt hatte? Oder handelte es sich bei seinem aufsehenerregenden Regie-Comeback nur um einen einmaligen Ausrutscher, eine mißglückte Generalprobe? Lucas selbst lieferte am 16. Mai 2002 die eindeutige Antwort. Tatsächlich leistete er aber auch bei der Inszenierung von "Attack Of The Clones" wahrlich ganze Arbeit ...
Dietmar Wohlfart
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