Musik_Death Cab For Cutie - Transatlanticism

Brennende Herzen

Leisetreter on the rise: Emotions-Zeremonienmeister Ben Gibbard reaktiviert nach Elektro-Pop-Seitensprung seine Hauptband zum großen Hymnenfest.    18.11.2003

Alben einer gewissen Qualitätsstufe, Alben wie dieses hier, brauchen zur grenzenlosen Ehrerbietung und Instant-Ins-Herz-Schließung oft nur einen einzigen, wahrhaftigen Satz, einen wie diesen hier: "So this the new year, and I don´t feel any different." Solche Sätze sind, so ein Album ist das. Eines, das in sacht verhaltenem Gestenrausch und unbändigem Melodienbogen andächtig schimmernden Songwriting-Pretiosen genau jene Art von Hymnenwerdung angedeihen läßt, die den weltweit verstreuten Lonely Hearts Club binnen kürzester Zeit sich in die vereinsamten Arme fallen lassen sollte.

Wetten möchte man da drauf dann aber auch nicht, denn dafür ist Death Cab For Cutie, der Band, die solche Alben zu fabrizieren die Gabe und das Gespür hat, bis zum heutigen Tage diesseits des Atlantiks ganz einfach viel zu sehr untergegangen in der medialen Wahrnehmung. Abgesehen vom doch erstaunlich weit hallenden Echo, das Death-Cab-Sänger Ben Gibbard mit Dntels Jimmy Tamborello durch ihr gemeinsames Projekt The Postal Service (immer noch highly recommendable: "Give Up") im letzten Jahr auszulösen wußte, um dann in Folge zu beinahe jedermanns Data-Pop-Darlings zu werden, war den bisherigen drei feinen Silberscheiben der Hauptband hierzulande das Schicksal der unerfreulichen Einsortierung ins kostspielige Importregal gewiß. Den hervorragenden Menschen von Grand Hotel Van Cleef, jener Herzstätte bundesdeutscher Indierock-Grandezza (Kettcar, Tomte) ist es nun zu danken, daß "Transatlanticism", das bisherige Meisterwerk der DCFC-Band-Geschichte, auch hierorts seinen regulären Release erhält.

Was da wieder verlorengehen hätte können: mindestens die gefühlskonzentrierteste Herbsthymnenansammlung, auf die man bei den gängigen Herbsthymnenansammlern heuer vergeblich zu warten scheint, mindestens jene in Sprach- und Bildgewalt schwer topbaren Seelenschauen eines zwischen überbordender Euphorie und elementarer Melancholie Getriebenen, mindestens ziemlich viele jener Momente, die nur ganz große Popmusik in einem auszulösen vermag. In "Tiny Vessels" raunt Gibbard: "You are beautiful but you don´t mean a thing to me", im drauffolgenden epischen Titelstück dann doch noch "I need you so much closer". Weil es wieder nicht reichen könnte oder weil es wieder nicht gereicht hat?

In all der resonanten Nabelschau: spartanischer, fokussierter, auch offener, zugänglicher sind Death Cab For Cutie geworden, nahezu schmerzhaft direkt im Vermögen, extreme Gefühlswelten in aller gegebenen Unmittelbarkeit mitfühlbar werden zu lassen. Im Sog ihrer US-Labelmates Nada Surf, in Sichtweite von "Wood/Water", dem erhabenen Schwanengesang von The Promise Ring, haben sich Death Cab For Cutie mit diesen elf bestechenden Perlen selbst an die Spitze des US-Indie-Rock gehievt. "This is fact not fiction for the first time in years."

Mein Gott, das sind doch nur Songs, könnte man meinen. Das ist doch nur eine Band. Nein. Sie könnten Giganten sein. Echt jetzt.

 

Christoph Prenner

Death Cab For Cutie - Transatlanticism

ØØØØ 1/2


Grand Hotel Van Cleef/Wohnzimmer (USA 2003)

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