Kino_Hide and Seek

Versteckspiel im Wald

John Polsons Mystery-Thriller will uns als Mischung aus "Sixth Sense" und "The Shining" das Gruseln lehren, bietet aber wenig neue Ideen und pfeift zudem auf die Handlungslogik.    07.04.2005

Was kann es Besseres für ein traumatisiertes Kind geben als ein verlassenes Haus im Wald? Das denkt sich zumindest Psychiater David Callaway (Robert De Niro) und zieht nach dem Selbstmord seiner Frau mit Tochter Emily (Dakota Fanning) aufs Land. Grober Unfug, mutmaßt neben dem Zuschauer auch Kinderpsychologin Katherine (Famke Janssen). Doch ihr bleibt nur, Telefonseelsorge anzubieten.

Und die ist auch dringend nötig. Denn - o Wunder - die kleine Emily blüht in der trostlosen neuen Umgebung nicht etwa auf, sondern verhält sich immer verschrobener. Bald erzählt sie gar von einem neuen Freund, Charly, mit dem sie gern Verstecken spielt, den außer ihr aber niemand sehen kann. David und Katherine halten den imaginären Spielkameraden zunächst für eine positive Entwicklung, doch bald kommt es zu unheimlichen und zunehmend blutigen Ereignissen rund um das Anwesen. Existiert Charly tatsächlich nur in Emilys Kopf oder stellt er doch eine reale Bedrohung dar?

Diese Konstellation ist zwar nicht sonderlich originell, aber trotzdem hätte sich hieraus noch ein solider Mystery-Thriller entwickeln können. Optisch ist das finstere Geschehen stilsicher in Szene gesetzt, es gibt einige wirkungsvolle Schockmomente im dunklen Keller des verwinkelten Hauses, und Dakota Fanning überzeugt als in sich gekehrtes und zunehmend bedrohlich auftretendes Einzelkind. Doch so unlogisch wie der anfängliche Umzug aufs Land selbst schon war, so unbefriedigend ist dann auch die "überraschende" Auflösung nach drei Vierteln des Films.

Pseudo-originelle Schlußpointen sind zwar spätestens seit "Sixth Sense" schwer in Mode, haben aber nun mal ihre Tücken, wenn sie nicht vernünftig durchdacht sind. Hier hält sich wieder ein Drehbuchautor für viel cleverer, als er tatsächlich ist, und so bleibt beim Zuschauer statt Euphorie nur ein schales Gefühl der Irritation zurück. Daß es auch besser geht, hat kürzlich erst der ausgeklügelte Psycho-Thriller "Der Maschinist" (seit 24. März im Kino) bewiesen - dessen dramaturgisch wie psychologisch absolut stimmiges Ende bezeichnenderweise von vielen Filmkritikern als "zu simpel" und "unoriginell" bezeichnet wurde. So lange dies der allgemeine Tenor ist, muß man sich nicht wundern, immer wieder mit ebenso reißerischen wie hanebüchenen Plot-Twists belästigt zu werden.

Anne Herskind

Hide and Seek - Du kannst dich nicht verstecken

Ø 1/2

(Hide and Seek)


USA 2005

101 Min.

dt. und engl. OF

Regie: John Polson

Darsteller: Robert De Niro, Dakota Fanning, Famke Janssen u. a.

 

Links:

Kommentare_

Video
Lichter der Vorstadt

Vive la tristesse

Der Abschluß von Kaurismäkis "Trilogie der Verlierer" widmet sich auf konsequente Weise dem Thema Einsamkeit. Berühren kann der Film jedoch nicht.  

Kino
28 Weeks Later

Auf die Plätze, fertig, Rage!

In London wütet erneut die Apokalypse - und wie! Die Fortsetzung von Danny Boyles Endzeit-Thriller "28 Days Later" hat in Sachen Härte und Action deutlich zugelegt.  

Stories
Berlinale 2007/Journal III

Forum für Skurriles

Es gibt viele Strategien, sich sein individuelles Festival-Programm zusammenzustellen. Im Fall der Berlinale scheint zu gelten: Je weniger Filme des offiziellen Wettbewerbs man anschaut, desto größer sind die Chancen, eine ganze Reihe spannender Entdeckungen zu machen.  

Stories
Berlinale 2007/Journal II

Elefanten im Porzellanladen

Die Berlinale im Blutrausch: In Zack Snyders Comic-Verfilmung "300" türmen sich die Leichenberge, der Protagonist von Okamoto Kihachis "Sword of Doom" metzelt einem Besessenen gleich seine Gegner nieder, und in Mitchell Lichtensteins "Teeth" wütet eine bissige Vagina unter der männlichen Bevölkerung.  

Stories
Berlinale 2007/Journal I

Cyborgs und blinde Samurai

Anne Herskind besucht für den EVOLVER wieder das Berliner Filmfestival. Ihr erster Bericht: Filme aus Japan und Südkorea behandeln einfühlsam bis skurril die Themen Außenseitertum und Einsamkeit - aber auch die befreiende Wirkung der Liebe.  

Video
Factotum

Na dann Prost!

Matt Dillon als Alter ego von Charles Bukowski? Das klingt zwar etwas gewagt, funktioniert aber in diesem Trinkerfilm über weite Strecken erstaunlich gut.