Stories_Hans Weingartner/Interview

Die netten Jahre sind vorbei

Mit seiner politisch aufgeladenen Dreiecksgeschichte "Die fetten Jahre sind vorbei" sorgt der Vorarlberger Regisseur derzeit für Furore. Christoph Prenner hat ihn interviewt.    25.11.2004

EVOLVER: Kannst du kurz schildern, was der Auslöser für die Filmidee war?

 

Hans Weingartner: Ich hatte eine rund zehnjährige Geschichte hinter mir, wo ich versucht hab, mich politisch zu betätigen, aber nie so richtig einen Weg gefunden hab´. Um das pointiert zu formulieren: Als ich 19, 20 war, wollte ich die Welt revolutionieren, hab aber niemanden gefunden, der das mit mir macht ...

Später war ich dann Hausbesetzer, dann wurden wir geräumt. Ich war auch einmal Punk, das ging dann auch zu Ende, dann mußte ich halt ein Medium finden, um so zu reflektieren, welche Möglichkeiten des Aktivismus es gibt. Vor allem hat mich die direkte Aktion interessiert. Wenn du Wut verspürst oder Unbehagen über den Zustand der Welt, wie kannst du das direkt in der Aktion umsetzen? Das muß ja noch lang nicht Terrorismus bedeuten. Ich bin absolut gegen Gewalt, das führt zu gar nix.

 

EVOLVER: Bist du der Meinung, daß den Leuten heutzutage die Ideologien abgehen, egal, ob jung oder alt?

 

Hans Weingartner: Ich denke, daß lange Zeit Verwirrung und Ratlosigkeit geherrscht haben, wie man auf die veränderten Machtverhältnisse dieser Welt reagieren soll. Man muß sich ja vor Augen halten, daß die wahre Macht von Großkonzernen, der Weltbank und WTO ausgeübt wird. Die Anti-Globalisierungbewegung hat ja schon sehr gut darüber informiert. Generell ist es aber als junger Mensch schwieriger geworden, gegen das Establishment zu kämpfen, weil das Establishment sich nicht mehr als Establishment präsentiert. Es reicht nicht mehr, Tabus zu brechen. ´68 hast du lange Haare gehabt und gekifft, und schon war die Polizei gegen dich, und deine Eltern haben dich verstoßen.

 

EVOLVER: Wenn du für "Die fetten Jahre sind vorbei" eine fiktive Fortsetzung schreiben müßtest: Wo würdest du denn deine Hauptdarsteller in 30 Jahren sehen?

 

Hans Weingartner: Ich weiß nicht. Sie werden vielleicht Familien haben, wahrscheinlich immer noch kritisch sein, sie werden hoffentlich nicht eine Partei gegründet haben.

 

EVOLVER: Denkst du nicht auch, daß sich Positionen mit dem Alter zwangsläufig ändern?

 

Hans Weingartner: Das glaube ich eben nicht, man muß mit dem Alter nicht immer konservativer werden. Man lebt vielleicht nicht mehr ganz so wild, aber die kritische Einstellung zur Welt muß sich deswegen ja nicht ändern. Ich halte es deswegen nur für eine Ausrede, wenn man sagt, der Mensch ist ab 30 nur mehr die Summe seiner Gewohnheiten.

Wir bekommen auch von Leuten um die 50 sehr starke Reaktionen, die machen ihr ganzes Leben noch mal durch in dem Film. Viele Leute, die ´68 rebelliert haben, sehen sich zuerst selber. Das ist natürlich ein Traum für einen Filmemacher: einen Film zu machen, der nicht nur unterhält, sondern auch zum Nachdenken anregt und dich vielleicht ein bißchen verändert.

 

EVOLVER: Hast du mit deiner Geschichte den Nerv der Zeit getroffen?

 

Hans Weingartner: Ich denke schon, daß es eine gewisse Sehnsucht gibt in der Gesellschaft nach Veränderung, daß viele Menschen draufkommen, daß Geld allein nicht glücklich macht, vielleicht auch gerne einfach mehr Zeit hätten. Ich finde, diese Beschleunigung macht die Menschen fertig. Ein polnischer Journalist hat mir in Warschau erzählt, Kommunismus und Unterdrückung waren furchtbar, aber früher war er um sechs zu Hause und hat fünf Stunden mit seinen Kindern verbracht, jetzt kommt er um acht Uhr abends nach Hause und sieht seine Familie überhaupt nicht mehr. Und er konnte mir nicht sicher sagen, was die glücklichere Zeit für ihn war.

 

EVOLVER: Du heißt einmal gesagt, daß deine Filme nicht nur Botschaften vermitteln, sondern in erster Linie auch unterhalten sollen.

 

Hans Weingartner: Ja, ich seh´ mich in erster Linie als Geschichtenerzähler, primär wollte ich nur eine spannende Geschichte erzählen. Meine politische Haltung kommt automatisch dazu, wenn ich das Drehbuch schreibe. Ich finde, es gibt auch nichts Schlimmeres, als wenn man sich im Kino langweilt. Das ist ja auch eine Art Vertrag mit dem Zuschauer - wenn der die Kinokarte kauft, gibt der mir ja zwei Stunden seines Lebens, dann will ich auch nicht, daß er sich zwei Stunden langweilt.

 

Der EVOLVER verlost in Kooperation mit Filmladen 3 Bücher und 3 T-Shirts zu "Die fetten Jahre sind vorbei" (siehe Links)!

 

Christoph Prenner

Die fetten Jahre sind vorbei


Ö/D 2004

126 Min.

dt. OF

Regie: Hans Weingartner

Darsteller: Daniel Brühl, Julia Jentsch, Stipe Erceg u. a.

 

Links:

Kommentare_

Kino
Viennale 2012/Journal III

Me vs. The Mob

Im finalen Teil der EVOLVER-Festival-Berichterstattung müssen sowohl Woody Harrelson als auch Mads Mikkelsen mit einem ihnen feindlich gesinnten Umfeld fertig werden - freilich aus ganz unterschiedlichen Gründen. Hereinspaziert in "Rampart" und "Jagten".  

Kino
Viennale 2012/Journal II

Sehen und Raunen

Alte Helden, neue Helden: Takeshi Kitano findet in "Autoreiji: Biyondo" langsam wieder zu seiner Form zurück, verheddert sich aber letztlich zu sehr in der Handlung. Dafür darf Ben Wheatley nach "Sightseers" endgültig in die Riege der erstaunlichsten europäischen Regisseure aufgenommen werden.  

Kino
Viennale 2012/Journal I

Perspektiven-Rausch

Bleibende Eindrücke der ersten Viennale-Tage: Die akribische Doku "Room 237" zerlegt "The Shining" in alle Einzelbilder, die große Matthew-McConaughey-Schau "Killer Joe" dafür Hendln in mundgerechte Portionen.  

Kino
Das Bourne Vermächtnis / Interview Jeremy Renner

Der zweite Mann

Plötzlich A-List: Spätestens seit seinen Auftritten im "Avengers"-Film und im vierten "Mission: Impossible"-Teil gilt Jeremy Renner als Hollywoods kommender Superstar, auch wenn er darin eher nur in der zweiten Reihe stand. Im aktuellen "Bourne"-Sidequel spielt er nun auch erstmals in einem Blockbuster die Hauptrolle - zumindest so lange, bis Matt Damon wieder zurückkehrt. Der EVOLVER hat den 41jährigen zum Interview getroffen.  

Kino
/slashfilmfestival 2012

Sieben /slash-Schönheiten

Daß das /slashfilmfestival im Wiener Filmcasino eine gar nicht genug zu lobende Bereicherung der heimischen Kinolandschaft darstellt, hat sich längst herumgesprochen. Der EVOLVER stellt ausgewählte Glanzlichter des dritten Durchgangs vor.  

Kino
Viennale 2011/Journal III

Sturm und Zwang

Das dritte und letzte Kapitel unserer Viennale-Berichterstattung steht im Zeichen der Unruhe vor dem Sturm - und damit der beeindruckendsten Arbeit des Festivals: "Take Shelter".