Lost In Translation
USA 2003
105 Min.
Regie: Sofia Coppola
Darsteller: Bill Murray, Scarlett Johansson u. a.
Virtuos inszenierte Nippon-Welten: Sofia Coppolas zartbittere Komödie „Lost In Translation“ und Takeshi Kitanos Schwertkampf-Saga „Zatoichi“. 21.10.2003
Zu einem nicht geringen Ausmaß nährt sich für uns Mitteleuropäer die Faszination und Begeisterung für die Kultur Japans aus den beinahe perversen Widersprüchen und Reibungen des (in diesem Ausmaß wohl einzigartigen) Aufeinandertreffens von Moderne und Tradition.
Im Spannungsfeld des Antagonismus von archaischen Mythen und hypermedialisierter Technokratie gedeihen dabei die seltsamsten und faszinierendsten Blüten, die die Film- und Popkultur der letzten Jahrzehnte zu bieten hatte. Nicht zu Unrecht würdigt die diesjährige Viennale mit einem Schwerpunkt retrospektivisch das Schaffen der Art Theatre Guild und des unabhängigen japanischen Kinos der Jahre 1962 bis 1984. Und auch die beiden besten und prägnantesten Filme des Startwochenendes im regulären Programmbetrieb begegnen den ungleichen Polen des Planeten Nippon auf bemerkenswerte Art und Weise.
LOST IN TRANSLATION
Bob Harris (Bill Murray) ist verloren. Verloren in einer Stadt, deren Sprache er nicht spricht und deren Alltagsriten er nicht begreift, in der viel zu viele, viel zu aufmerksame Menschen, die er nicht versteht, ständig um ihn herumscharwenzeln und ihn mit ihrer Höflichkeit zu erdrücken scheinen. Bob ist Schauspieler, gestrandet in einem Tokioter Nobelhotel, getrennt von Frau und Kindern, um einen lukrativen Whisky-Werbespot abzudrehen. Seine besten Jahre hat er nicht nur beruflich hinter sich, auch aus seiner Ehe ist die Luft längst raus. Seine Frau schickt ihm Teppichmuster nach; Ferngespräche mit ihr sind Belege einer über die Jahre entstandenen Entfremdung.
Charlotte (Scarlett Johansson) ist ebenfalls verloren. Anfang 20 und frisch vermählt, erkennt sie ihren Ehemann, einen Szene-Photographen (Giovanni Ribisi), nicht wieder. Dieser, sichtlich in ekstatischer Entzückung ob seiner plötzlichen Bedeutsamkeit, läßt sich nur sehr selten im Hotel bei ihr blicken.
Getrieben von Schlaflosigkeit und Einsamkeit, kreuzen sich ihre Wege, zuerst flüchtig, dann öfter und bestimmter. Sie schlagen sich die Nächte in der grellen Glitzerwelt des Tokioter Nachtlebens um die Ohren, und so entwickelt sich eine tiefe Verbundenheit, Freundschaft und platonische (wenngleich auch unterschwellig sinnliche) Liebe, die sich unter normalen Umständen wohl nie so entwickeln hätte können. Aber: "everyone wants to be found", wie schon der Plakatslogan von "Lost In Translation" zu suggerieren weiß. Und tatsächlich haben sich hier zwei gefunden im gegenseitigen Einanderbrauchen, um der eigenen inneren Leere entfliehen zu können, zwei Seelenverwandte, die einander umkreisen, einander näher und näher und doch nie wirklich bis zum anderen kommen, während sie sich der Flüchtigkeit ihres gemeinsamen Glücks nur allzugut bewußt sind.
Ohne großen Übertreibungen anheimfallen zu müssen: Sofia Coppola, der Tochter des großen Francis Ford, ist mit ihrem Zweitling ein sanfter Meisterstreich geglückt, wie man ihn nur ganz selten erleben darf. In gänzlich unaufgeregten, suggestiven Bilderfluten vollzieht sie den Spagat von anfangs leichtfüßiger Culture-Clash-Comedy zum wahrscheinlich besten Liebesfilm seit Linklaters "Before Sunrise". Wie schon bei ihrem Debüt "The Virgin Suicides" steht auch hier das, was Englischsprachige mit "longing" bezeichnen, im Mittelpunkt: Sehnsucht - und damit verbunden die Unfähigkeit, sich zwischen Nähe und Distanz festlegen zu können. "Lost In Translation" ist kein Film, der seine Weisheiten in die Welt brüllt, vielmehr flüstert er sie uns ins Ohr und erzählt damit so unendlich viel mehr von Leben und Lieben. Und weil nicht nur der Autor dieser Zeilen der Meinung ist, mit dem Protagonistengespann, dem zum Niederknien tollen Bill Murray und der famosen Scarlett Johansson, die wahrscheinlich begnadetsten Darstellerleistungen des Jahres gesehen zu haben, und hoffentlich nicht nur er beim finalen The Jesus & Mary Chain-Hadern "Just Like Honey" einen dicken Kloß im Hals hatte, abschließend zwei ganz schlimme Worte: Meisterwerk. Oscar-Anwärter.
ZATOICHI
Nicht weniger exzellent inszeniert als Coppolas neonlichterne Großstadt-Romanze ist das neue Werk von einem, dessen Revier im Normalfall auch eher das der urbanen Abgründe ist: Takeshi Kitano. Im Gegensatz zu seinen Neunziger-Jahre-Kunststücken "Hana-Bi" oder "Sonatine" nimmt er sich hier jedoch einer japanischen Legende an: dem Mythos vom blinden, schwertkämpfenden Masseur Zatoichi, der einem kleinen Dorf im Kampf gegen sich bekriegende Gangs und einen mächtigen Ronin (Tadanobu Asano) aushilft. Damit dreht der Regisseur übrigens auch erstmals einen Samurai-Film.
In aller Klarheit: "Zatoichi" ist der Streifen, der Mr. Q und demnächst (hüstel!...) Tom Cruise gerechterweise Nächte der Schlaflosigkeit bereiten sollte. Es ist schlichtweg ein Vergnügen höherer Größenordnung, den hier erblondeten Kitano wieder hinter und vor der Kamera in solch großer Form zu erleben, denn in dieser Hommage an die ungezählten "Zatoichi"-Movies der Sechziger stimmt ganz einfach das gesamte Paket: grandios choreographierte Schwert- und Stockkampfszenen, die eigentümliche Trademark-Kombination von tiefliegender Melancholie, abrupten Gewaltausbrüchen und schwarzem Humor und im besonderen Maße die Virtuosität und Kunstfertigkeit, mit der er Bild und Sound miteinander zu verknüpfen weiß. Zu Recht erhielt er dafür beim diesjährigen Filmfestival in Venedig den Silbernen Löwen für die beste Regie. Besondere Empfehlung auch hierfür.
Lost In Translation
USA 2003
105 Min.
Regie: Sofia Coppola
Darsteller: Bill Murray, Scarlett Johansson u. a.
Zatoichi
Japan 2003
115 Min.
Regie: Takeshi Kitano
Darsteller: Takeshi Kitano, Tadanobu Asano u. a.
Im finalen Teil der EVOLVER-Festival-Berichterstattung müssen sowohl Woody Harrelson als auch Mads Mikkelsen mit einem ihnen feindlich gesinnten Umfeld fertig werden - freilich aus ganz unterschiedlichen Gründen. Hereinspaziert in "Rampart" und "Jagten".
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