Kino_Maria voll der Gnade

Bittere Pillen

Gnadenschluß: Nachdem Joshua Marstons von der US-Kritik euphorisch gelobtes Drogendrama auch bei der Viennale mit großem Erfolg lief, startet es nun regulär in unseren Kinos.    29.10.2004

Wörterbücher weisen dem englischen Wort "mule" unter anderem folgende drei Möglichkeiten der Übersetzung zu: Packesel, Drogenkurier, Dickkopf. Auf die gleichnamige Protagonistin von "Maria Full of Grace" trifft jede davon auf die eine oder andere Weise zu. In Drogenschmugglerkreisen bezeichnet man gern jene Menschen als Packesel, die den Stoff über die Grenze, an Gesetz und Zoll vorbei, an seinen Bestimmungsort verschieben sollen. Menschliches Rangiermaterial also, nicht mehr.

Gern werden dafür, etwa in Kolumbien, junge (und meist arme) Mädchen verwendet, weil die offensichtlich für eine Handvoll Dollar bereit sind, ein solch unkalkulierbares Risiko auf sich zu nehmen. Den Magen vollgefüllt mit nichts als 50 bis 60 taubeneigroßen, mit Heroin befüllten Sackerln (also nein, das ist keine Hostie da auf dem Filmplakat), sollen sie in ein ihnen unbekanntes Land reisen, dessen Sprache sie nicht sprechen, um das Zeug dort möglichst unbeschädigt wieder loszuwerden. Platzen die Plastikbeutel, bedeutet das unweigerlich den Tod.

Die 17jährige Maria ist eine von denen, die sich in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft auf so eine gefährliche Mission begeben. Zu trist sind die Perspektiven in der Heimat eines kolumbianischen Kaffs: den Job in einer Rosenentdornungsfabrik gekündigt und noch dazu schwanger von einem Taugenichts von Freund, der sie deshalb auch gleich sitzenließ. Doch die Kleine ist eben auch ein ziemlicher Dickkopf, der sich nicht so leicht an die Wand drängen läßt und daher die für sie einmalige Chance nutzen möchte ...

"Basierend auf 1000 wahren Geschichten", heißt es so niederschmetternd im Werbeslogan zum Film. Regisseur Joshua Marstons Verdienst und damit die Stärke von "Maria Full of Grace" besteht aber gerade darin, den Film niemals in bei Sozialdramen so beliebte Zeigefingerhaltung zu manövrieren. Stattdessen erzählt er ganz einfach und ohne Spektakel mit einer Präzision in Charakter- und Milieubeschreibung eine Geschichte, die einen nicht mehr losläßt. Sie packt zwar nicht ganz so drastisch zu wie das entfernt verwandte "Lilja 4-ever", fährt aber doch so präzise ins Unterbewußtsein wie ein guter Krimi. Und verursacht dabei einen Gefühlsschock, der den Zuseher zwangsläufig unruhig auf dem Kinosessel herumwetzen läßt.

Dies ist in hohem Ausmaß auf die mehr als großartige Leistung von Hauptdarstellerin Catalina Sandino Moreno zurückzuführen, die - als Debütantin übrigens - dafür gemeinsam mit Charlize Theron (für "Monster") bei der heurigen Berlinale den Silbernen Bären für die beste Darstellerin erhielt. Doch auch der Film im allgemeinen sowie Marstons Regie im speziellen wurden auf den Festivals von Sundance und Deauville nur so mit Preisen überhäuft. Und das mit gutem Recht.

Christoph Prenner

Maria voll der Gnade

ØØØØ

(Maria, llena eres de gracia)


USA/Kolumbien 2004

101 Min.

OmdU

Regie: Joshua Marston

Darsteller: Catalina Sandino Moreno, Virginia Ariza, Johanna Andrea Mora u. a.

 

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