Stories_Viennale 2004/Double Vision

Rest of both worlds

Übernatürliche Morde, ein taiwanesischer Polizist und ein FBI-Agent, Psychedelic-Gore und altmodischer Grusel: Regisseur Kuo-fu Chen probiert´s mit Crossover.    25.10.2004

Wenn die Herrschaften in Hollywood schon nichts Besseres zu tun haben, als asiatisches Filmgut in Remakes zu verbraten, dann müssen die Produzenten in Fernost wohl mit denselben Mitteln zurückschlagen. Was wiederum bedeutet: westliche Schauspieler engagieren, bewährten Asia-Horror mit amerikanischen Handlungsmustern mischen - und hoffen, daß dabei ein Erfolg herauskommt.

Kuo-fu Chen hat es mit "Double Vision" wenigstens versucht. Die seltsamen Todesfälle, mit denen der Taiwan-Hongkong-Film beginnt, wecken sowohl Erinnerungen an "Sieben" als auch an japanische Genre-Klassiker wie "Cure". Erst erfriert ein Geschäftsmann in seinem Büro. An einem Hochsommertag, bei ausgefallener Klimaanlage und in dicke Decken eingewickelt. Dann verbrennt eine Politikersgattin in ihrer Wohnung, ohne daß rundherum irgendwelche Feuerspuren festgestellt werden können. Und später erwischt´s noch einen Priester, der seine Gedärme verliert ...

Die Polizei in Taipeh, wo all diese Morde passieren (daß es sich nicht um Unfälle handelt, ist ganz offensichtlich), steht vor einem Rätsel. Möglicherweise treibt da ein Serienkiller sein Unwesen, aber wie könnten selbst einem Mastermind auf Hannibal-Lecter-Niveau solch seltsame Verbrechen gelungen sein? Vielleicht spukt es aber auch, und es sind irgendwelche übernatürlichen Kräfte, die sich da an moralisch fragwürdigen Charakteren rächen. Die Verantwortlichen beschließen, einen FBI-Experten aus Quantico hinzuzuziehen, der mit dem einheimischen Ermittler (Tony Leung) zusammenarbeiten soll. Als der Amerikaner (verläßlich, aber - zum Plot passend - irgendwie verwirrt: David Morse) eintrifft, stößt er zuerst auf Ablehnung und Spott von seiten der asiatischen Kollegen, aber das gibt sich natürlich mit der Zeit.

Kaum sind all diese Elemente in den Film eingeführt, verliert der Regisseur den Faden: Will er einen Serial-Thriller machen? Ein Buddy-Movie? Eine überlange "X-Files"-Folge? Eine Geschichte über einen Polizisten mit persönlichen und familiären Problemen? Oder gar einen Horrorfilm, in dem sich apokalyptische Sektenelemente mit Weird Science (im Gehirn der Opfer wird eine seltsame Substanz entdeckt) vermischen?

Die Antwort lautet: Ja. Er will. Alles auf einmal. Und zwar so, daß sowohl Asia-Fans als auch westliches Publikum damit zufrieden sind. Daß dieser Hochseilakt spätestens nach der Hälfte des Streifens mißlingen muß, ist klar. Und daß zwischen all den grauenhaften Visionen und "überraschenden" Plot-Twists die Logik ziemlich leidet, tut einem dann schon fast leid. Weil man einem solchen Projekt ja nur das Allerbeste wünscht - und sich grämt, wenn es (allerdings auf hohem Niveau) unter seinem eigenen Gewicht zusammenkracht.

Trotzdem: Besser als die obenerwähnten Hollywood-Remakes. Kann man sich also anschauen.

Peter Hiess

Double Vision

(Shuang tong)


Taiwan/USA 2002

110 Min.

OmeU

Regie: Kuo-fu Chen

Darsteller: Tony Leung, David Morse, Rene Liu u. a.

 

25. 10., 23 Uhr, Gartenbau

 

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