Stories_M.A.S.S./Interview

Revolution für jedermann

Jeder braucht seine eigene Revolution, meint Justine Berry - und bezieht das auch auf ihre Band. Mit Bernadette Karner sprach sie über ersehnte Veränderungen im Musik-Busineß.    05.10.2004

EVOLVER: Wie weit liegen die Anfänge von M.A.S.S. zurück? Wie fand die Band zusammen?

 

Justine: M.A.S.S. begann so gegen Ende 2002. Ich war sehr ruhelos und hatte mich wie so mancher ein wenig in die Dance-Music-Szene verstrickt. Fallweise lieferte ich dazu die Gesangsparts, ohne daß jedoch etwas wirklich Bedeutendes dabei herausgeschaut hätte. Ich hatte einfach zuviel Spaß. Ich liebte es, auf improvisierte Clubbings zu gehen, hinter denen meistens Basement Jaxx standen, die ganz in der Nähe meiner damaligen Londoner Adresse wohnten. Dann beschloß ich, daß ich eine Band gründen und Musik machen wollte, die es mir ermöglichen würde, auf der Bühne etwas Energie loszuwerden. Zuerst lernte ich Jonny kennen, und wir begannen Songs zu schreiben. Ich wollte die bestmögliche Band für uns und hinterließ überall, wo wir hingingen, Post-its, mit denen ich nach Musikern suchte, denen das Live-Spielen am wichtigsten war. Wir entschieden uns schließlich für Stuart, einen Drummer aus Dublin, und Paul, einen Bassisten aus Bergen in Norwegen - definitiv die "M.A.S.S. International Conference Of Rhythm". Wir vier begannen dann einfach mit Songs zu arbeiten, schlossen unsere ersten Aufnahmen ab und fanden dabei schnell heraus, daß wir noch einen Gitarristen brauchten. Die richtige Person zu finden war schwer, denn wir wollten ja einen brillanten Musiker und nichts weniger. Dann erwähnte jemand Andy Miller von Dodgy, der gerade nicht viel zu tun hatte. Wir luden ihn zu einem Vorspielen ein, bei dem klar wurde, daß er genau der Richtige war. Seine Spielart unterscheidet sich völlig von der Jonnys - was ja sehr gut ist.

 

EVOLVER: Was bedeutet "M.A.S.S." eigentlich?

 

Justine: Das kann ich nicht beantworten. Es ist unser Geheimnis, das wir fünf nicht verraten wollen. Gegen Rateversuche haben wir aber überhaupt nichts - wir haben schon einige interessante Vorschläge in mehreren Sprachen gesammelt.

 

EVOLVER: Wie könnte man eure Musik beschreiben?

 

Justine: Das ist eigentlich schwierig. Was den Text anbelangt: ein natürlicher Energieanfall, Leidenschaft, Anklagen, Inspiration, aber definitiv Musik für Jungs UND Mädchen. Um ehrlich zu sein, versuchen wir beständig unsere Musik weiterzuentwickeln. Ich mag es, den Leuten, die glauben, unseren Stil beschreiben zu können, immer einen Schritt voraus zu sein.

 

EVOLVER: Gibt es Gemeinsamkeiten mit anderen Bands? Wen hört ihr selbst gerne?

 

Justine: Ich will so viele Bands wie möglich hören und sehen, weil ich Live-Musik liebe. Das ist schlicht und ergreifend "mein Ding". In der Londoner Szene tauchen immer wieder Bands mit Attitüde auf, wie zum Beispiel The New Rhodes, The Rocks oder The Others. In England sind wir mit M.A.S.S. Außenseiter der Musikszene - keine Ahnung, warum. Anfangs wollten die hiesigen Konzertagenten, die ja nicht nur die meisten Gigs in England, sondern auch in Europa kontrollieren, zu keinem unserer Konzerte kommen, weil wir noch keinen Plattenvertrag hatten. Das machte es natürlich schwieriger, mit Bands zusammenzuarbeiten, die wir mochten. Peaches schickte uns eine Mail, in der sie meinte, daß unsere CD das Beste wäre, was sie seit Jahren gehört hätte. Das ist eines der besten Dinge, die M.A.S.S. bislang passiert sind. Sie wollte uns dann für ein paar UK-Auftritte als Support - phantastische Konzerte! Lisa von The Bellrays ist unglaublich, aber ich mag aber auch Courtney Love und PJ Harvey. Bevor ich nach Frankreich gezogen bin, sah ich mir die Libertines mindestens einmal pro Woche bei einem ihrer vielen kurzfristig angesetzten Auftritte an. Mit ihnen haben wir auch schon gespielt - Peter, glaub´ ich, braucht ein wenig Zeit, um sich erst einmal über sich selbst klar zu werden.

 

EVOLVER: Wie reagieren die Medien auf euch? Es gibt ja nicht allzu viele Gitarren-Bands mit Frontfrau - zieht man da nicht automatisch die Aufmerksamkeit auf sich?

 

Justine: Das kann ich nicht wirklich abschätzen. In England war es schwierig für uns, überhaupt bemerkt zu werden. Für den noch immer lächerlich einflußreichen "NME" schreiben ja in erster Linie Männer - die bleiben lieber unter sich und bevorzugen reine Burschen-Bands. Von Frauen fühlen sie sich ein wenig eingeschüchtert, meiner Meinung nach.

 

EVOLVER: Wann rechnet ihr mit eurem weltweiten Durchbruch?

 

Justine: Morgen! Ernsthaft - das interessiert mich nicht sonderlich. Unser gemeinsamer Weg war bislang schon ziemlich verrückt; wir tourten von allem Anfang an quer durch Europa. Ich liebe das Tour-Leben und das Live-Spielen, aber sogar ich bin ein wenig besorgt, was die bevorstehende Tour angeht. Wird meine Stimme das aushalten? Parallel dazu arbeiten wir am zweiten Album. Wenn wir es also mit unserem Debüt nicht schaffen, werden wir die Leute eben mit dem Nachfolger überraschen. Solange wir zwischen dem Songschreiben und Aufnehmen und den Konzerten die richtige Balance finden, ist es mir egal, ob wir weltweit bekannt werden oder nicht.

 

EVOLVER: "Don´t Wanna Wait Anymore" heißt einer eurer Songs. Wie wurden M.A.S.S. so ungeduldig?

 

Justine: Tja, ich bin halt ein ungeduldiges Miststück, und meiner Meinung nach sollte man in seinen Songs auch ehrlich sein ... aber im Ernst: Es hat auch etwas damit zu tun, wie das Musik-Busineß in England uns behandelt hat. Der Frust darüber bricht manchmal einfach in den Songs durch. Wofür ich wirklich dankbar sind, sind die Fans, die uns in unserer Heimat unterstützt haben. Das Busineß hat uns aber ignoriert - und ignoriert will ich, wollen wir absolut nicht werden. Nach ein paar Tagen mit Konzerten in Europa begann ich dann zu realisieren: "Hey, da geht was ... Ich bin nicht verrückt". Oder vielleicht bin ich es doch.

 

EVOLVER: Wo findet ihr die Inspiration für eure Musik? Wo kriegt ihr die Ideen fürs Songwriting her?

 

Justine: Das Leben ... Frustrationen ... so gut wie alles. Die Tatsache, daß wir wirklich gut sein und die Leute, die zu unseren Konzerten kommen, umhauen wollen, ist eine großartige Inspirationsquelle. Manchmal ist der Schreibprozeß eine Quälerei, manchmal strömen die Ideen einfach nur so heraus. Jeder in der Band will ja auch seine Vorstellungen einbringen. Jonny hat nebenbei ein Soloprojekt namens Satellite am Start, bei dem er seine Selbstbetrachtungen loswerden kann. Für den Rest der Band ist M.A.S.S. zu 100 Prozent das Ventil, um das zu sagen, was wir durch Musik zu sagen haben. Außenstehende haben gemeint, daß eines der wichtigsten Merkmale von M.A.S.S. die Qualitätskontrolle ist. Da draußen gibt es so viele Bands, daß man wirklich gut in dem sein muß, was man macht, um seine Position zu verteidigen. Jeder einzelne Song muß die Leute an einen anderen Ort versetzen können und in sich selbst perfekt sein.

Bernadette Karner

M.A.S.S. - Revolution


Tréma/Universal (England 2004)

 

Links:

M.A.S.S. on Tour


6. 10.: B 72/Wien

7. 10.: Arcadium/Graz

8. 10.: Alter Schlachthof/Hollabrunn

9. 10.: Sublime/Aflenz

 

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Kommentare_

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